Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
entwickelten ärztlichen Interventionsmethoden zusammengenommen … Wäre es möglich, das Rauchen vollkommen abzuschaffen, dann würde die Menschheit davon mehr profitieren als von der Möglichkeit, alle bestehenden Arten von Krebs zu heilen.«
Auch dazu gibt es einen Kommentar aus der Antike: Nach den Worten des Ennius ist »das Gute in fast allen Fällen die Abwesenheit des Schlechten« – Nimium boni est, cui nihil est mali.
Ähnlich sieht es beim Glück aus: Am besten fährt man mit einem negativen Konzept; hier gilt dieselbe Nichtlinearität. Moderne Glücksforscher (die überwiegend einen recht unglücklichen Eindruck machen – häufig handelt es sich bei ihnen um ehemalige Wirtschaftswissenschaftler, die heute Psychologen sind, oder umgekehrt) arbeiten nicht mit Nichtlinearitäten und Konvexitätseffekten, wenn sie uns über das Glück in Kenntnis setzen – als wüssten wir, was das Glück ist und ob es wirklich das ist, wonach wir suchen sollten. Es wäre besser, sie würden uns über Unglücklichsein Auskunft geben (wahrscheinlich würden analog zu denen, die Glücksseminare geben und unglücklich aussehen, die Unglücksdozenten glücklich aussehen); das »Streben nach Glück« ist nicht dasselbe wie die »Vermeidung von Unglück«. Wir alle wissen nicht nur genau, was uns unglücklich macht (beispielsweise Lektoren, der tägliche Berufsverkehr, Gestank, Schmerzen, der Anblick bestimmter Zeitschriften in einem Wartezimmer und so weiter), sondern auch, was wir dagegen unternehmen können.
Lassen Sie uns sondieren, was die alten Philosophen dazu sagten. »Kargheit der Nahrung vermag bisweilen, den Leib wiederherzustellen«, schrieb Plotin. Man glaubte in früheren Jahrhunderten an die Wirksamkeit von Reinigungskuren (beispielsweise an die häufig schädliche, häufig aber auch heilsame Praxis des Aderlasses). Das Rezept der Schule von Salerno, einer berühmten medizinischen Lehr- und Forschungsanstalt des Mittelalters, lautete: heitere Stimmung, Ruhe, geringe Nahrungszufuhr. Si tibi deficiant medici, medici tibi fiant haec tria: mens laeta, requies, moderata diaeta.
Es gibt eine möglicherweise apokryphe (aber deshalb nicht weniger interessante) Geschichte über Pomponius Atticus, der dadurch Berühmtheit erlangte, dass er ein Verwandter Ciceros und Empfänger von dessen Briefen war. Dieser Pomponius Atticus war unheilbar krank und wollte sowohl seinem Leben als auch seinem Leiden dadurch ein Ende setzen, dass er nichts mehr zu sich nahm – erfolgreich war er nur mit Letzterem, denn nach einem Bericht von Montaigne wurde durch das Fasten seine Gesundheit wiederhergestellt. Ich führe die Geschichte hier an, obwohl sie apokryph ist, einfach aus dem Grund, dass aus wissenschaftlicher Sicht die einzige Methode, wie das menschliche Leben verlängert werden kann, darin besteht, die Kalorienzufuhr zu reduzieren – viele menschliche Leiden werden offensichtlich dadurch geheilt, und bei Labortieren ließ sich der lebensverlängernde Effekt sogar nachweisen. Allerdings ist, wie ich im nächsten Abschnitt zeige, keine dauerhafte Kalorienreduktion vonnöten – gelegentliches (gründliches) Fasten reicht aus.
Bekanntlich können viele Fälle von Diabetes geheilt werden, indem der Kranke einer sehr strengen »Hungerkur« unterzogen wird, was einen Schock im System zur Folge hat – der Mechanismus ist wahrscheinlich heuristisch schon lange bekannt, da es in Sibirien Hungerkur-Institute und -Sanatorien gibt.
Es ist nachgewiesen, dass viele Menschen davon profitieren, wenn Produkte, die es in der Umgebung ihrer Vorfahren nicht gab, weggelassen werden: Zucker und andere Kohlehydrate in unnatürlicher Zusammensetzung, Weizenprodukte (was vor allem diejenigen betrifft, die unter Zöliakie leiden, allerdings reagieren wir fast alle auf diese Neuerung in der Ernährungspalette nicht gerade positiv), Milch und andere Erzeugnisse von Kühen (betrifft vor allem Menschen, die nicht aus Nordeuropa stammen und keine Laktosetoleranz ausgebildet haben), Limonade (sowohl Diät- als auch normale Limonade), Wein (für Menschen aus Asien, die sich nicht im Lauf ihrer Geschichte an Weingenuss gewöhnt haben), Vitaminpillen, Nahrungsersatzstoffe, der Hausarzt, Kopfschmerztabletten und andere Schmerzmittel. Ein Arzt, der Schmerzmittel verschreibt, verhindert, dass sich sein Patient im Versuch-und-Irrtum-Verfahren mit dem Grund für seine Kopfschmerzen – Schlafentzug, Nackenspannungen oder schädliche Belastungen –
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