Antonias Wille
Hotel zu bekommen erschien vielen Rombachern begehrenswerter, als sich Tag für Tag den Buckel auf dem steinigen Acker hinterm Haus krumm zu machen. Und so stellte sich selten einmal jemand quer, wenn sie zu ihm kam, um eine Zusammenarbeit vorzuschlagen.
So auch im Frühjahr 1909, als Rosanna die Rombacher Blaskapelle bat, einmal wöchentlich ein Konzert vor dem Hotel zu geben â gegen Bezahlung natürlich. Stolz stellten sich dieDorfmusiker ihrem neuen Publikum und steckten verstohlen die eine oder andere Münze ein, die manche Gäste ihnen nach einem Konzert noch zusätzlich in die Hand drückten.
Trotz dieser Annäherung an die Dorfbewohner konnte Rosanna nie ganz vergessen, wie diese einstmals auf sie herabgeschaut hatten. Das Kichern der Frauen, ihre StöÃe im schmalen Kirchgang, als Rosanna an Lichtmess eine Taufkerze weihen lassen wollte, saÃen wie Stacheln in ihrem Fleisch. Wer von den Rombachern nicht fleiÃig war, wer nicht spurte, wurde schneller entlassen, als er oder sie gucken konnte. Manches Mal schlug Rosanna eine Bitte um Anstellung schon im Vorhinein aus, ohne dass es einen besonderen Anlass dafür gegeben hätte. Einzig aus dem Grund, weil es ihr eine Genugtuung war, auch wenn sie sich für ihre Niederträchtigkeit im Nachhinein manchmal schämte.
Eine solche Strenge, eine solche Härte hätten die Rombacher der jungen Frau nicht zugetraut â und auch das sprach sich herum. Rosanna war zu einer wichtigen Person im Dorf geworden, der man â wenn auch ungern â Respekt zollte. Als Rosanna den Bürgermeister, den Uhrenhändler, den Pfarrer und ein paar andere einflussreiche Männer aufsuchte, um ihnen die Gründung eines Heimatpflegevereins vorzuschlagen, hatte sie schnell eine Hand voll Mitstreiter zusammen. Der Gedanke, das Schwarzwälder Brauchtum hochzuhalten, es für kommende Generationen zu pflegen, gefiel den traditionsbewussten Rombachern. Und Rosannas Gäste erzählten alsbald gern von ihren Ausflügen ins Dorf, wo sie den prachtvoll geschmückten Maibaum bewundert hatten oder einer »Schwarzwälder Hochzeit« beiwohnen durften.
An Fronleichnam schickte Rosanna ihre Gäste hinunter ins Dorf, wo diese die Prozession verfolgten und die Fahne mit dem Jesuskind auf der einen und dem Abbild des Pfarrers auf der anderen Seite bestaunten. Bei dem Gedanken daran, wie die Kirchengemeinde zu der Fahne gekommen war, musste Rosanna jedes Jahr aufs Neue in sich hineinlachen.
Obwohl ihre Erinnerung an die erste Zeit in Rombach alles andere als rosig war, versuchte sie, ihren Gästen ein wenig von den Traditionen, die sie selbst im »Fuchsen« kennen gelernt hatte, nahe zu bringen. So wurde im »Kuckucksnest« jedes Fest gefeiert, zum Beispiel der Tag des heiligen Hubertus am dritten und der Sankt-Martins-Tag am elften November. An Himmelfahrt buk Rosanna »fliegendes Fleisch«, also Brot in Vogelform, am Erntedankfest lieà sie den Wanderpfarrer Josef Stix kommen, damit dieser vor einem festlich geschmückten Erntedankaltar eine Predigt für die Gäste hielt. Und jedes Mal war der Speiseraum dem Anlass entsprechend festlich mit Blumen und Ranken herausgeputzt.
Rosanna machte aus dem »Kuckucksnest« einen verzauberten Ort, an dem selbst der nüchternste Mensch eine Magie verspürte, von der er ein Stück mit nach Hause nehmen konnte.
Und die Gäste liebten Rosanna dafür.
12. September 1916
Nun dauert der Krieg schon über zwei Jahre! Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als Gäste sich beim Frühstück über das serbische Attentat auf das österreichische Thronfolgerpaar in Sarajewo unterhielten. Das war im Juli 1914. Kurz darauf erklärte Ãsterreich Serbien den Krieg â und wer hätte damals gedacht, dass dieser schreckliche Krieg auch einmal ganz Deutschland betreffen würde. Dem Himmel sei Dank, dass wir hier oben auf dem Berg von allem abgeschottet leben können. Dass täglich viele Menschen sterben müssen, wissen wir nur aus den Zeitungen. Am liebsten würde ich meinen Gästen verbieten, Zeitungen mit ins »Kuckucksnest« zu bringen. Wer zu mir reist, soll die Kriegswirren und die schrecklichen Nachrichten vergessen. Inzwischen kommen sowieso fast nur noch Frauen. Mütter mit ihren Kindern und deren Kindermädchen, Ehefrauen von Offizieren, die ihre Liebsten in ländlicher Sicherheit wissen wollen.
Die
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