Apfeldiebe
geschriene Tonleiter: Das Aufeinandertreffen von Kehlkopf und Holz verursachte den ersten Ton – ein Schrei, vermengt mit Husten und Röcheln. Aber dies dauerte nicht einmal eine ganze Sekunde, wie Kasi schätzte, denn während Alex sein Schwert fallen ließ und sich an den Hals griff, während er seinen Helm verlor, traf Alex’ bereits vom vorgestrigen Sturz ramponiertes Schienbein die in den Weg gestellte Truhe – der nächste und übernächste Ton, schon klarer, lauter.
Max schaffte es nicht, seinen einmal in Bewegung gesetzten Körper rechtzeitig zum Stehen zu bringen, er versuchte es, wirklich, er gab sich alle Mühe, trotzdem prallte er, annähernd ungebremst wie Alex empfand, von hinten auf den Freund und schleuderte diesen gegen die verbliebenen Stangen. Eine dieser Stangen traf Alex’ Augenbraue, Blut lief ihm ins Auge. Das Gewicht des Freundes katapultierte Alex über die Truhe, er verlor Gleichgewicht und Taschenlampe und stürzte kopfüber zu Boden. Und als sei dies alles noch nicht genug, spürte er unmittelbar darauf Max. Zwar hatte Alex mit Kopf und Oberkörper alle von Kasi gespannten Spinnenfäden zerrissen, die Truhe aber stand weiterhin im Weg. Max sah sie, wollte noch abspringen, blieb aber (Willkommen im Sportunterricht!) mit dem Fußrücken hängen und fiel auf die vor ihm ausgebreitete Turnmatte – der vorerst letzte Laut auf Alex’ Tonleiter, diesmal wieder eher ein Röcheln denn ein wirklicher Schrei.
» Elender Mist! Was soll das?!« Alex stieß Max zur Seite, der traf mit dem Hinterkopf die Wand.
» Au! Kann ich irgendwas dafür?!«
» Ach, halt die Klappe!« Alex stand bereits wieder auf eigenen Füßen. Mit den Fingerspitzen betastete er seinen Hals, das Kinn und schließlich die Augenbraue. »Leuchte mal hierher«, sagte er und hielt Max die feuchten Finger hin. Wie ein Maikäfer strampelte Max, kam auf die Knie, nahm seine Lampe. Alex starrte auf seine Hand. Blut glänzte, das eigene Blut! »Ihr verdammten Säcke! Ihr Arschlöcher!« Alex’ Stimme überschlug sich und Rufus dachte in seinem Versteck kurz, dass die beiden, Alex und Max, sich immer ähnlicher wurden. Tatsächlich erreichten Alex’ Schreie beinahe Max’ Tonlage und sorgten bei den Verursachern dieser Schreie für Gänsehaut.
» Zeig mal.« Max leuchtete Alex ins Gesicht. Er suchte ein fast unbenutztes Papiertaschentuch aus seiner Hosentasche, tupfte damit Alex’ Braue ab.
» Au!«
» Halt still! Ist gar nicht so schlimm, nur so ein kleiner Schlitz.« Max’ Finger maßen einen, höchstens zwei Zentimeter ab. »Und es blutet auch schon fast nicht mehr.« Er riss ein kleines Stück Zellstoff ab und klebte es Alex auf die Wunde.
» Wenn ich die in die Finger bekomme! Das hat sich bestimmt der Schwarze ausgedacht!« Und, jetzt schrie er: »Hörst du mich, Schwarzer? Bete, dass wir euch nicht finden!«
» Was machen wir mit ihnen?«, flüsterte Max.
» Was weiß denn ich. Auf jeden Fall werden sie es aber nicht vergessen.« Alex bückte sich nach seiner Lampe, betrachtete die am Boden liegenden Spinnenfäden und trat sie zur Seite. Max stand bereits im Fässerraum.
» Meinst du, die sind alle voll?«
» Was?« Alex dachte nach.
» Die Fässer. Ist da noch was drin?«
Was, wenn die beiden gar nicht weggerannt sind, sondern sich …
Max trommelte gegen das erste der Fässer. »Klingt ziemlich leer«, sagte er und ging zum nächsten, aber auch dessen Klang verhieß keinen jahrhundertealten Wein, sondern höchstens saure Luft.
Der Raum, in dem sich Max befand und den zu betreten Alex noch immer zögerte, ähnelte in Größe und Bauweise dem anderen: eine niedrige, gewölbte Decke mit einem verzierten Stein in der Mitte, festgestampfter Boden. Während aber der hinter ihnen liegende Raum wohl eine Art Gerümpelkammer gewesen sein musste, hatte dieser hier eindeutig als Weinlager gedient. Rechts und links lagen zwischen den Mauern eingeklemmt jeweils sechs ziemlich große Fässer, so groß, dass ein Erwachsener locker darin Platz gefunden hätte. Über diesen großen Fässern stapelten sich noch etliche kleinere Vorratsbehälter, vor Jahrhunderten einfach auf ihre großen Brüder geworfen und da vergessen. Am Ende des so gebildeten schmalen Ganges, an der gegenüberliegenden Wand, entdeckte Max zwei weitere Öffnungen. Der Schwarze und das Mädchen konnten so ziemlich überall sein.
» Glaubst du, dass die sich vielleicht in einem der Fässer verstecken? Oder dahinter?« Max ging in die Knie und suchte
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