Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
ziemlich gut, allerdings machten sie sich die Sache unnötig schwer, weil der zweite Gitarrist nur das tiefe E umgestimmt hatte und nicht auch noch die drei hohen Saiten G, H und E. Benno hatte das Stück in offenem D konzipiert und konnte dadurch ohne fingerbrecherisches Umgreifen die Läufe fließend und mit ineinander ausklingenden Tönen spielen.
    Tatsächlich flog der Gitarrist bei einem langen Lauf über vierzehn Noten abwärts raus und musste lachend und die Schultern hebend aufgeben. Seine Finger hatten sich verhakt beim Versuch, die Saiten so lang ausklingen zu lassen wie im Original. Das war mit dieser Stimmung nicht möglich.
    Christine gab Daniel einen Schubs mit dem Ellbogen. »Zeigs ihm doch«, flüsterte sie, und Daniel sagte: »Das ist Bennos Part.«
    Sie konnte das nicht wissen, woher auch, trotzdem gab es Benno einen kleinen Stich, dass sie sich zuerst an Daniel gewandt hatte. Wieso nicht an ihn? Traute sie ihm das nicht zu? Er riss sich zusammen und sah Daniel fragend an. Wenn sie sich jetzt als Tanner & Krantz zu erkennen gaben, dann war das Idyll beendet, dann standen sie im Mittelpunkt und konnten den Moment nicht mehr genießen. Jedenfalls nicht so wie jetzt. Daniel nickte. »Zeigs ihm«, sagte er, »der ist dir ewig dankbar.«
    »May I have your guitar for a moment?«, fragte Benno, und der Gitarrist reichte sie ihm nach einem kurzen Zögern, so kurz, dass es nur von einem, der nachzufühlen vermochte, wie es ist, ein gutes Instrument in fremde Hände zu geben, bemerkt werden konnte. Benno nahm die Gitarre.
    »Picks also?«
    Der Junge zog sich die Picks von den Fingern und reichte auch die herüber. Das war ein vielleicht noch größeres Zeichen von Vertrauen, denn diese kleinen Metallhäkchen würden sich an Bennos Fingern verformen und hinterher wieder in die richtige Fasson zurückgebogen werden müssen. Der andere hatte ihn offenbar als Musiker erkannt, obwohl in seinem Blick noch eine gewisse Vorsicht zu ahnen war. Jedenfalls für Benno.
    Während Daniel dieselbe Transaktion mit dem Bebrillten ohne Worte vollzog – er deutete einfach auf die Gitarre und machte eine Krallenbewegung mit der rechten Hand, um die Picks zu fordern –, stimmte Benno die G-, H- und E-Saiten auf Fis, A und D, klopfte sich die Picks an den Fingern auf dem Oberschenkel zurecht und zählte ein.
    Die Leute hatten sie nicht erkannt, auch die beiden Musiker nicht, also mussten sie das Stück von einer Kassette oder einem Sampler gelernt haben – auf dem Album war ein Foto von Benno und Daniel –, aber einigen schien zu dämmern, dass man es mit dem Original zu tun hatte, als sie die Musik auf einmal ganz ohne Hakeligkeiten und Unsicherheiten hörten, und ein kaum hörbares, eher nur fühlbares Raunen ging durch die Gruppe, es war mehr ein unvermitteltes Aufglühen von Energie, eine Konzentration und ein Aufrichten, sich anders Hinsetzen, den Kopf wenden, nur die beiden Gitarristen strahlten übers ganze Gesicht, als ihnen klar wurde, wer da spielte. Der eine hob die Hände in Schulterhöhe, ballte die Fäuste und machte eine kleine, bubenhafte Siegergeste, der andere hatte seine Hände vor dem Schlüsselbein aufeinandergelegt, als bekomme er in diesem Augenblick ein lang ersehntes Geschenk, und ließ den Blick nicht von Bennos Händen. Es klang, wie es klingen musste.
    Und danach wurde es laut, sie klatschten und johlten und redeten durcheinander und auf Benno, Daniel und Christine ein, auf Englisch und in einer skandinavisch klingenden Sprache, vielleicht Dänisch, vielleicht Schwedisch, und der mit der Brille sagte: »You are Tanner and Krantz, you really are?«
    »Yes«, sagte Daniel und reichte die Gitarre zurück, streifte sich die Picks von den Fingern und machte eine kleine angedeutete Verbeugung in Bennos und Christines Richtung.
    Auch Benno gab die Gitarre zurück, lobte sie, sagte »Great guitar«, es war eine Martin D35, dieselbe, die auch er spielte, und sie klang hervorragend, erstaunlich ausgeglichen, im Diskant so kraftvoll wie im Bass. Vielleicht sogar besser als die, die er besaß. Diese Jungs mussten reich sein. Die Gitarre des Bebrillten war eine Gibson aus den späten Fünfzigern, auch sehr kostbar.
    »Play one more«, sagte eine der Frauen aus der Gruppe, und alle stimmten in den Nötigungschor mit ein, aber Daniel schüttelte den Kopf und stand auf.
    »Would you sign my guitar?«, fragte der mit der Brille, und die beiden reichten die Gitarren wieder an Benno und Daniel zurück. Irgendjemand

Weitere Kostenlose Bücher