Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Europä­ern, woraus die Populationen hervorgingen, die in Süd­afrika als »Coloreds« oder »Basters« bekannt sind. Die San wurden ähnlich stark dezimiert, doch wenigstens eine kleine Zahl von ihnen konnte ihre Eigenständigkeit in namibischen Wüstengebieten, die für Landwirtschaft nicht taugen, bewahren. Ins Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit drangen sie vor einigen Jahren durch den Kinofilm Die Götter müssen verrückt sein . Die weiße Po­pulation im Norden des Kontinents birgt keine großen Überraschungen, da Völker von ähnlichem Aussehen in benachbarten Regionen des Nahen Ostens und Europas beheimatet sind. Während der gesamten überlieferten Geschichte haben zwischen Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika Völkerwanderungen in alle Richtungen stattgefunden. Ich werde deshalb in diesem Kapitel nicht ausführlich auf die weißen Afrikaner eingehen, da ihre Herkunft kein Geheimnis darstellt. Rätsel geben uns in­dessen Schwarze, Pygmäen und Khoisan auf, deren heu­tige Verbreitungsgebiete auf umfassende Wanderungen in der Vergangenheit schließen lassen. So deutet beispiels­weise das fragmentierte Verbreitungsgebiet der 200 000 Pygmäen, die verstreut unter 120 Millionen Schwarzen leben, darauf hin, daß dieses Jägervolk einst in den Re­genwäldern am Äquator weit verbreitet war, bis schwarze bäuerliche Völker einwanderten und die Pygmäen in iso­lierte Rückzugsgebiete vertrieben. Das Gebiet der Khoi­san im südlichen Afrika ist überraschend klein für ein Volk mit so ausgeprägter Anatomie und Sprache. Hatten möglicherweise auch die Khoisan einst ein viel größeres Verbreitungsgebiet, bis ihre nördlicheren Populationen auf irgendeine Weise eliminiert wurden?
    Die größte Anomalie habe ich bis zum Schluß aufge­hoben. Sie betrifft Madagaskar, jene große Insel, die nur 400 Kilometer vor der afrikanischen Ostküste und damit sehr viel näher an Afrika als an irgendeinem anderen Kontinent liegt (zwischen Madagaskar und Asien bezie­hungsweise Australien erstreckt sich der Indische Ozean in seiner vollen Breite). Die Bevölkerung Madagaskars setzt sich aus zwei Elementen zusammen. Zum einen aus afrikanischen Schwarzen, was nicht weiter überrascht, zum anderen jedoch aus Menschen, die aufgrund ihres Aussehens sofort als Südostasiaten erkennbar sind. Die von allen Bewohnern Madagaskars – Asiaten, Schwarzen und Mischlingen – gesprochene Sprache gehört zur au­stronesischen Sprachfamilie und weist starke Ähnlich­keit mit der Maanyan-Sprache Borneos auf, einer Insel, die rund 6500 Kilometer entfernt auf der anderen Sei­te des Ozeans liegt. Kein anderes Volk, das den Maa­nyan oder anderen Bewohnern Borneos auch nur ent­fernt ähnelt, lebt im Umkreis von Tausenden von Kilo­metern um Madagaskar.
    Diese madagassischen Austronesier mit ihrer austro­nesischen Sprache und abgewandelten austronesischen Kultur lebten bereits auf Madagaskar, als die ersten Euro­päer im Jahr 1500 die Insel betraten. Für mich gibt es in der gesamten menschlichen Siedlungsgeographie nichts Verblüffenderes. Man stelle sich vor, Kolumbus hätte bei seiner Ankunft in Kuba blonde, blauäugige Skandinavier mit einer dem Schwedischen ähnlichen Sprache vorge­funden, während das nordamerikanische Festland von indianischen Sprechern amerindischer Sprachen be­wohnt war. Wie um alles in der Welt konnten prähi­storische Bewohner Borneos, die vermutlich in Booten ohne Karten oder Kompaß reisten, bis nach Madagas­kar gelangen?
    Das Beispiel Madagaskars zeigt, daß Sprachen ebenso wie die physische Erscheinung von Völkern wertvol­le Hinweise auf ihre Herkunft geben können. Ein blo­ßer Blick auf die Bewohner Madagaskars genügt, um zu wissen, daß ein Teil von ihnen aus Südostasien stammt. Woher genau, das könnten wir allerdings nicht sagen, und auf Borneo wären wir sicher nicht gekommen. Was können wir aber noch aus afrikanischen Sprachen ler­nen, das uns nicht schon afrikanische Gesichter verra­ten?
    Klarheit in die schwindelerregende Komplexität der 1500 Sprachen Afrikas brachte der berühmte Linguist Joseph Greenberg von der Stanford University, der er­kannte, daß sämtliche dieser Sprachen insgesamt nur fünf Sprachfamilien zuzuordnen sind (Verbreitungsge­biete siehe Abbildung 18.2). Wer von Ihnen geglaubt hat, die Linguistik sei eine besonders langweilige, trockene Disziplin, wird sicher erstaunt sein zu erfahren, in welch faszinierender Weise Abbildung 18.2 zu unserem

Weitere Kostenlose Bücher