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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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Boden und bildete dort eine Lache. Der tote Rahil Tennerit, wie die anderen vor wenigen Minuten gestorben, trug zivile Kleidung, keine Uniform der Ägide, aber an den Schultern der Jacke steckten die Abzeichen, die er zuvor bei den anderen Menschen gesehen hatte. Ihre Symbolik war überall auf Heraklon bekannt: zwei Hände, vor dem Hintergrund eines Sternenhimmels in einem Händedruck vereint: das Zeichen von Außenweltlern im diplomatischen Dienst, die bei einer der Botschaften auf Heraklon akkreditiert waren.
    Der zweite Tote trug ebenfalls solche Abzeichen, und sein Gesicht war schmerzverzerrt. Der andere Rahil Tennerit hatte ihn mit der linken Hand an der Kehle gepackt und ihm mit der rechten einen langen Dolch ins Herz gestoßen.
    Rahil starrte auf sein Ebenbild und überlegte, ob es sich um den Mann handelte, den Milissa Gauwain erwähnt hatte, um den »echten« Rahil Tennerit, einige Wochen zuvor in einem Uterus zu neuem Leben erwacht und nach Heraklon zurückgekehrt, wo er Monate zuvor gestorben war. Jetzt gibt es nur noch mich, dachte er benommen. Ich bin der eine, wahre Rahil Tennerit.
    Aus dem Augenwinkel sah er seinen Vater, der neben ihm stand und ebenfalls auf die beiden Toten hinabsah, die sich offenbar gegenseitig umgebracht hatten. Coltans Gesicht blieb unbewegt, ohne erkennbare Reaktion. Entweder verstand er es gut, seine Empfindungen zu verbergen, oder die blutigen Ereignisse an diesem Ort ließen ihn unberührt.
    Rahil ging langsam in die Hocke und sah sich die Abzeichen aus der Nähe an. »Leute von der Bruch-Gemeinschaft«, murmelte er und versuchte zu verstehen, was hier geschehen war. »Oder sogar von der Ägide. Und sie haben … mich getötet, den anderen Rahil. Warum?«
    »Du hast dich gut zur Wehr gesetzt, mein Junge.« Coltan deutete auf den Dolch. »Aber wie mir scheint, bist du allein gewesen und vielleicht auch überrascht worden.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Vielleicht solltest du gar nicht getötet werden. Vielleicht war es ein … Unfall, mehr oder weniger.«
    Sammaccan kam aus einem Nebenzimmer. »In den anderen Räumen herrscht ebenfalls ein großes Durcheinander, Rahil Tennerit«, sagte er. »Wer auch immer dies angerichtet hat: Er war auf der Suche nach etwas.«
    Und ich habe ihn beziehungsweise sie daran zu hindern versucht, dachte Rahil. Sofort korrigierte er sich. Nein, nicht ich. Ein anderer Rahil. Jemand, der in einem Körper mit derselben genetischen Struktur steckte. Der ebenso dachte und fühlte wie ich. Ein Rahil mit derselben Vergangenheit, denselben Erinne rungen … Warum war er hierhergekommen? Warum hatte jemand alles durchsucht?
    Eigentlich gab es nur eine Erklärung.
    Rahil richtete sich wieder auf. »Sie haben meine Erinnerungen gesucht. Deshalb ist der andere Rahil hierhergekommen und auch die anderen Leute. Sie wollten meine Erinnerungen an den ersten Einsatz.«
    »Interessante Vermutung«, erwiderte sein Vater. »Die Frage ist: Waren es tatsächlich diese Leute, die du gesehen hast, und sind sie fündig geworden?«
    Rahil wandte sich von den Toten ab. »Wenn die gespeicherten Erinnerungen tatsächlich hier im Konsulat der Ägide lagerten, sind wir zu spät gekommen. Wenn nicht …«
    »Äguizabel der Verwahrer.«
    »Ja. Wir müssen sofort zu ihm. Jene Leute … Vielleicht sind sie zu ihm unterwegs.«
    Sie verließen das kleine Nest mit den Leichen, ohne die Fenster und Türen zu schließen – das hätte möglicherweise Aufmerksamkeit erregt. Sie konnten nur hoffen, dass die Toten noch eine Zeit lang unentdeckt blieben, so lange, bis sie bei Äguizabel gewesen waren.
    Auf dem Weg durch Lautaret wirbelten Rahils Gedanken erneut durcheinander. Einmal mehr verfluchte er den Umstand, dass seine Femtomaschinen durch die Interdiktion inaktiv waren und er die Rüstung verloren hatte, denn die gegenwärtigen Umstände erforderten Konzentration auf das Wesentliche. Zu viele Fragen gingen ihm durch den Kopf und verlangten alle gleichzeitig nach Antworten. Einige schienen in Reichweite gerückt zu sein – er fühlte sich an, als müsste er nur lange genug überlegen, in aller Ruhe, um aus richtig formulierten Fragen wichtige Erkenntnisse zu gewinnen. Andere erschienen ihm abstrus, kaum vereinbar mit der Vorstellung, die er von den Ereignissen gewonnen hatte. Ein Rat seines Instruktors fiel ihm ein: Hüte dich immer, voreilige Schlüsse zu ziehen, Rahil. Manchmal sind die Geschehnisse so beschaffen, dass sie dich zu falschen Schlüssen verleiten. Sei immer

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