Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
Dinas. Dabei hielt er die leere Hand empor, schloß sie zur Faust, drehte sie um, öffnete sie wieder, und auf seiner Handfläche lag ein Drosselei. Lässig warf er das Ei beiseite.
»Wir dienen König Lancelot aus freiem Willen«, erklärte er,
»und seine Freunde sind unsere Freunde.«
»Und seine Feinde sind unsere Feinde«, ergänzte Lavaine.
»Und Ihr« – Arthurs Sohn Loholt konnte es sich nicht verkneifen, in die Provokation einzustimmen – »seid ein Feind unseres Königs.«
Ich musterte die jüngeren Zwillinge: unreife, linkische Knaben, die an einem Übermaß an Stolz und einem Mangel an Weisheit litten. Beide hatten das lange, knochige Gesicht ihres Vaters geerbt, aber es wurde von Verdrossenheit und Groll entstellt. »Inwiefern bin ich ein Feind Eures Königs, Loholt?«
fragte ich ihn.
Er wußte nicht, was er sagen sollte, und keiner der anderen wollte an seiner Stelle antworten. Dinas und Lavaine waren zu klug, um hier und jetzt einen Kampf zu beginnen, nicht einmal in Gegenwart von Lancelots Speerkämpfern; denn Culhwch und Galahad waren auf meiner Seite, und meine Anhänger warteten nur wenige Meter entfernt am anderen Ufer des träge dahinfließenden Churn. Loholt errötete, sagte aber kein Wort. Mit Hywelbane schlug ich sein Schwert beiseite und trat dicht an ihn heran. »Ich werde Euch einen guten Rat geben, Loholt«, sagte ich leise. »Wählt Eure Feinde mit mehr Klugheit, als Ihr Eure Freunde wählt. Ich habe keinen Streit mit Euch, doch wenn Ihr einen solchen Streit sucht, verspreche ich Euch, daß meine Liebe zu Eurem Vater und meine
Freundschaft mit Eurer Mutter mich nicht davon abhalten wird, Euch Hywelbane in den Bauch zu rammen und Eure Seele in einem Dunghaufen zu vergraben.« Damit stieß ich mein Schwert in die Scheide zurück. »Und nun geht.«
Wütend starrte er mich an, fand aber nicht den Mut zum Kampf. Statt dessen ging er sein Pferd holen, und Amhar folgte ihm. Dinas und Lavaine lachten, und Dinas verneigte sich sogar vor mir. »Was für ein Sieg!« lobte er mich.
»Wir haben eine Schlappe erlitten«, sagte Lavaine, »aber das kann man von einem Krieger des Kessels ja wohl erwarten, oder?« Den Titel betonte er spöttisch.
»Und von einem Druidentöter«, ergänzte Dinas alles anderes als spöttisch.
»Tanaburs war unser Großvater«, sagte Lavaine, und da fiel mir ein, daß Galahad mich auf der Dunklen Straße vor der Feindschaft dieser beiden Druiden gewarnt hatte.
»Es gilt als äußerst unklug, einen Druiden zu töten«, stellte Lavaine mit seiner rauhen Stimme fest.
»Vor allem unseren Großvater«, setzte Dinas hinzu, »der für uns wie ein Vater war.«
»Nachdem unser eigener Vater starb«, sagte Lavaine.
»Als wir noch sehr jung waren.«
»An einer schweren Krankheit«, erklärte Lavaine.
»Auch er war ein Druide«, sagte Dinas, »und hat uns die Magie gelehrt. Wir können Getreide faulen lassen.«
»Wir können Frauen stöhnen lassen«, sagte Lavaine.
»Wir können Milch sauer machen.«
»Während sie noch in der Mutterbrust ist«, erläuterte Lavaine. Dann wandte er sich unvermittelt ab und sprang mit eindrucksvoller Gelenkigkeit in den Sattel.
Sein Bruder sprang ebenfalls aufs Pferd und ergriff die Zügel. »Aber wir können noch mehr, als Milch zu säuern«, sagte Dinas. Boshaft sah er mich von seinem Roß herab an, dann streckte er, genau wie zuvor, die leere Hand aus, ballte sie zur Faust, drehte sie um, öffnete sie wieder, und auf seiner Handfläche lag ein Pergamentstern mit fünf Zacken. Lächelnd zerriß er das Pergament in winzige Fetzen, die er ins Gras fallen ließ. »Wir können Sterne zum Verschwinden bringen«, sagte er zum Abschied. Dann gab er seinem Pferd die Sporen. Beide Brüder galoppierten davon. Ich spie aus. Culhwch holte meinen zu Boden gefallenen Speer zurück und reichte ihn mir. »Wer in aller Welt sind die beiden?« fragte er mich.
»Tanaburs’ Enkel.« Ein zweites Mal spie ich aus, um das Böse abzuwenden. »Die Bälger eines schlechten Druiden.«
»Und sie können wirklich die Sterne verschwinden lassen?«
fragte er zweifelnd.
»Nur einen.« Ich blickte zu den beiden Reitern hinüber. Ich wußte, daß Ceinwyn in der Halle ihres Bruders in Sicherheit war; aber ich wußte auch, daß ich die silurischen Zwillinge töten mußte, wenn ich wollte, daß sie weiterhin ungefährdet blieb. Tanaburs’ Fluch lag auf mir, und dieser Fluch hieß Dinas und Lavaine. Ich spie ein drittes Mal aus und berührte Hywelbanes Heft, um
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