Asche und Phönix
verwischen. Das kostet Mühe und erregt Aufmerksamkeit. Und wenn Libatique auch vom Ruhm anderer zehrt, so muss er doch eigene Bekanntheit um jeden Preis verhindern.
Er geht zurück zum Parkplatz an der Straße. Royden ist einige Schritte hinter ihm und will immer wieder aufholen, aber dann hebt Libatique nur stumm seinen Gehstock und zeigt ihm, wo sein Platz ist: im Staub, den die Schritte seines Gebieters aufwirbeln. Steine stechen in Libatiques nackte Fußsohlen, aber er spürt keinen Schmerz. Nicht diese Art von Schmerz – nur die Qual der Unvollkommenheit. Er hasst sich selbst dafür, aber nicht einmal sein Selbsthass ist ihm Inspiration.
Eine Familie hat ihren Minivan neben dem Bentley geparkt. Zwei Kinder streiten sich um den Inhalt einer Kühltasche, die in der offenen Ladeklappe steht. Die Eltern streiten ebenfalls, aber sie tun es nicht lautstark, nur mit Blicken. Libatique könnte den Kleinen raten sich schon einmal Gedanken zu machen, ob sie die kommenden Jahre beim Vater oder bei der Mutter verbringen möchten. Aber dann gönnt er ihnen die Behaglichkeit ihrer nichtigen Balgerei um Saft und Süßigkeiten. Das Vergnügen, das ihm ihr Leid bereiten würde, ist zu profan, um wahre Befriedigung zu verschaffen.
Die Erwachsenen sind mit sich selbst beschäftigt und bemerken nicht, dass Royden aussieht, als hätte er gerade Kälber halbiert. Libatique ist erleichtert, als sein Diener endlich am Steuer sitzt. Er selbst nimmt auf der Rückbank Platz, legt sich den Stock über die Knie und hält ihn dort mit beiden Händen fest. Libatique sitzt stets mit aufgerichtetem Oberkörper, den Rücken durchgedrückt, und wenn er während der Fahrt nach rechts oder links blickt, dreht er immer den ganzen Kopf. Manchmal sind seine Augen einen Sekundenbruchteil schneller, als zögen sie die Drehung des Schädels hinter sich her. Libatique weiß, dass dies auf andere beunruhigend wirkt. Seine Bewegungen sind nicht menschlich, es sind nur Kleinigkeiten wie diese hier.
Als Royden durch ein Schlagloch fährt, poltert es im Kofferraum. Sollte der Besitzer des Wagens doch noch am Leben sein? Libatique wünscht es ihm nicht, denn dann würde er ertasten, was noch dort hinten im Dunkeln liegt.
Sie biegen vom Parkplatz auf die Küstenstraße, eine der schönsten Strecken Europas, so sagt man. Libatique weiß zu schätzen, dass seine Aufgabe ihn hierher geführt hat. Es wäre weit weniger erbaulich gewesen, den jungen Cale durch die Abgase Londons zu jagen. Das rote Felsgestein gefällt ihm, die leeren Hänge, die Brandung am Fuß der Klippen und das Meer, das um diese Uhrzeit dunkelblau ist mit einem leichten Stich Türkis. Es ist zweifellos angenehmer, die Sache hier zu beenden als in einer grauen Beton- und Asphaltwüste.
An der nächsten Tankstelle kauft Libatique Hygieneartikel für Royden und ein paar Duftspender, die er im Auto verteilt. Im Rückspiegel überwacht er, dass sein Diener sich gründlich das Gesicht und den Hals reinigt. Außerdem hat er eine Sonnenbrille und einen Strohhut besorgt; der Hut sieht lächerlich aus, aber ein besserer war nicht zu bekommen. Im Radio laufen nach wie vor Meldungen über das brennende Tal im Massif des Maures.
Wenig später erreichen sie das Hotel. Die Sonne bringt die falschen Jugendstilgeländer und abgeschmackten Verzierungen der Fassade zum Glühen. Jemand in diesem Gebäude scheint zu wissen, was aus Frater Iblis Nineangel geworden ist. Libatique will diese Information so sehr wie den Pakt mit dem Jungen, und er empfindet es als wunderbare Fügung, dass beides so eng miteinander verflochten ist.
Das hier wird ihn nicht lange aufhalten. Er kann wittern, dass die beiden etwas zurückgelassen haben. Ein Kleidungsstück, auf das seine Sinne sofort reagieren. Es wird ihn zu jenen führen, die den Aufenthalt des Hohepriesters kennen. Sie werden reden. Es wird schnell gehen. Libatique ist zuversichtlich und nicht zum Scherzen aufgelegt.
Royden hält ihm die Wagentür auf. Libatique steigt aus.
Sie betreten das Hotel und folgen der Spur in den sechsten Stock.
51.
Es dämmerte, als sie in Nizza die Autobahn verließen und quer durch die Stadt ans Meer fuhren. Parker fluchte über den Verkehr, der um diese Uhrzeit die Straßen verstopfte, und Ash erinnerte ihn daran, dass Nineangel wahrscheinlich seit Jahrzehnten auf Cap Ferrat lebte und es auf ein paar Minuten mehr oder weniger kaum ankam.
Natürlich war ihr genauso bewusst wie ihm, dass Libatique in diesem Moment auf der Suche
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