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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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richtete sich halb auf und öffnete den Mund zu einer Grimasse, als wolle er sie beißen. So erstarrte er für einen Augenblick, und dann sackte er zurück und fing an, krampfhaft zu zucken, als stehe er unter Strom. Seine Beine trommelten unwillkürlich auf den Boden, sodass sein Körper sich im Kreis drehte wie ein kaputtes Feuerwerksrad. Dann bog sich der Rücken durch, sein Kopf verrenkte sich schmerzhaft zur Seite, als wollte er über die Schulter zum Hinterrad des Wagens schauen, und er wurde schlaff. Er blieb auf dem Rücken liegen, den einen Arm unter sich geklemmt, den anderen seitwärts ausgestreckt.
    Es war still. Sie stand da und starrte ihn an. Das Telefon in ihrer Hand war vergessen. Er atmete nicht. Rührte sich nicht. Der Geruch von Urin und Blut stieg von ihm auf.
    »David?«, flüsterte sie. »David?«
    Schweigen.
    Zitternd fiel sie in der anschwellenden Blutlache auf die Knie, und ihr Herzschlag klang wie Donner in ihren Ohren. Seine Augen waren offen, sein Mund ebenfalls – es sah aus, als schreie er. Wie eine Maschine, die mitten im Betrieb abgeschaltet worden war. Wie betäubt hockte sie sich auf die Fersen. Nein, dachte sie. O Gott, nein. Nicht auch noch das.
    Die Abendsonne schien warm auf ihren Hinterkopf, und ein plötzlicher Windstoß ließ einen sanften Wirbel von Blütenblättern an ihr vorbeitanzen, als sei dies ein ganz normaler Abend im Spätfrühling. Nichts Ungewöhnliches – überhaupt nichts Ungewöhnliches war daran und an der zierlichen Frau von Mitte dreißig, die einen Mann umbrachte, ganz ungeniert hier draußen unter freiem Himmel.

37
    Dieser Arbeitstag ging Zoë an die Nieren. Sie musste Orte aufsuchen, von denen sie seit Jahren gehofft hatte, sie nie mehr wiederzusehen. Der Club, in dem sie in den Neunzigern gearbeitet hatte, war inzwischen geschlossen – jetzt war dort ein Wettbüro –, aber als sie an diesem Tag mit der Liste, die Holden ihr gegeben hatte, am Armaturenbrett durch die Straßen von Bristol fuhr, war das ganze Elend mit einem Schlag wieder da. Nightclub um Nightclub um Nightclub, überall in der Stadt. Die meisten öffneten erst am Nachmittag, und hier und da kamen die Putzfrauen heraus, mit schlurfenden Schritten und in dem Bewusstsein, dass ihr Los im Leben darin bestand, Böden zu wischen, die mit allen möglichen Körperflüssigkeiten bekleckert waren. Drinnen roch es nach Scheuerpulver, schalem Parfüm und Magensäure. Die Mädchen kamen überwiegend aus Osteuropa. Sie waren im Allgemeinen offen, freundlich und kooperativ, doch keine von ihnen hatte Lorne Wood je gesehen, höchstens auf der Titelseite der Zeitung. Als Zoë andeutete, Lorne könnte möglicherweise als Topless-Model oder in den Clubs gearbeitet haben, hatte das eine oder andere Mädchen sie angesehen, als wollte sie sagen: Bist du bescheuert? Eine wie Lorne in einem Laden wie dem hier?
    Am Abend gegen neun, als sie am Ende ihrer Liste angekommen war, nahm sie fast an, dass die Mädchen recht hatten und dass Lornes Spur bei Holden’s Agency kalt geworden war. Das Ende des Tages rückte heran – das Ende des Versprechens, das sie Lorne gegeben hatte. Noch eine Tür, an die sie klopfen würde, und dann würde sie sich geschlagen geben. Nach Hause fahren und fernsehen. Ins Kino gehen. Einen der Bikerfreunde anrufen, mit denen sie sich manchmal auf ein Bier traf, sich in eine Bar setzen und die Motorradwoche planen.
    Jacqui Sereno war der letzte Name. Sie wohnte in Frome, und ein Rausschmeißer in einem der Clubs hatte sie erwähnt. Zoë fuhr mit dem alten Mondeo hinaus. Sie umfasste das Lenkrad mit beiden Händen und blickte stur nach vorn auf die Straße. Die Adresse war ein Privathaus, und im ersten Moment dachte sie, sie habe sich geirrt. Aber ein zweiter Blick auf die Liste ergab, dass es stimmte. Anscheinend betrieb Jacqui einen Webcam-Service; sie vermietete Zimmer, Computerausstattungen und Internetanschlüsse in diesem kleinen, unauffälligen Haus, das sich von allen andern in dieser Siedlung nur durch seine Schäbigkeit unterschied. Die Klappe vor der Gasuhr hing schief in den zerbrochenen Angeln, und am Weg zur Haustür stand eine überquellende Mülltonne. Die Fenster waren seit Jahren nicht geputzt worden. Mit einem tiefen Seufzer schwang Zoë die Beine aus dem Wagen und ging den Weg hinauf.
    Die Frau, die ihr öffnete, war in den Fünfzigern, klein, dünn und verbittert. Ihre Haut war dunkel gebräunt, und sie hatte eine altmodische, toupierte Hochfrisur, die sie mit

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