Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
Vom Netzwerk:
und schwiegen jetzt wieder. Der Sand unter Megans Füßen wurde warm, und sie zog die Turnschuhe an, die sie in der Hand getragen hatte. Hinter einer Biegung sah sie ein Schiff, das fünfzig, vielleicht hundert Meter weit draußen vor Anker zu liegen schien. Sie blieb stehen, dann ging sie zur Böschung hoch und bewegte sich im Schatten der Bäume auf einen lückenhaften Plankenweg zu, der in einer krummen Linie zwischen Meer und Wald verlief. Das Schiff war nicht sehr groß, aber aus Metall. Es erinnerte Megan an die Fischkutter in der Dingle Bay, die sie als Kind gesehen hatte. Sie setzte sich hin und wartete,und als sie sicher war, dass sich niemand an Bord befand, stand sie auf und folgte einem ausgetretenen Pfad, der in die dunkle Stille zwischen den Stämmen führte. Hier war die Luft greifbar, feuchtwarm und nach Moder riechend, nach etwas, das sich langsam zersetzte. Ein anhaltendes Geräusch drang aus dem Boden, ein Prickeln und Schaben, leise, im Geheimen verrichtete Arbeit. Darüber schwebte das endlose Sirren der Insekten wie der Ton aus dem Innern einer riesigen elektrischen Anlage.
    Megan sah die Frau in der Sekunde, in der sie selber entdeckt wurde, und blieb stehen. Auch die Frau hielt in ihrem Schritt inne. Sie trug ein weißes T-Shirt, ein um die Hüfte gewickeltes blaues Tuch und an den Füßen Sandalen. Ihr kurzgeschnittenes Haar war blond, ihre Haut sonnengebräunt. Megan hob die Hand. Die Frau sah sich um, hielt aber weiterhin mit beiden Händen ein gerolltes rotes Badetuch an ihren Bauch gepresst.
    »Hallo«, sagte Megan, gerade laut genug, um die Distanz zu überwinden.
    »Wer sind Sie?«, rief die Frau.
    »Ich dachte, ich finde vielleicht einen Job hier.« Megan ging ein paar Schritte auf die Frau zu, die sich erneut nach allen Seiten umsah. »Ich bin Tierärztin.«
    »Wer hat Sie geschickt?«
    »Oh, niemand.« Megan blieb etwa zehn Meter von der Frau entfernt stehen. »Ich habe für Jeffrey Salter gearbeitet.«
    Die Frau überlegte kurz, schien mit dem Namen jedoch nichts anfangen zu können. »Wie sind Sie hergekommen?«
    »In einem Motorboot. Drei Männer haben mich gebracht. Fischer.«
    Die Frau blickte über Megans Schulter, als könnten die Männer zwischen den Bäumen hinter ihr auftauchen. »Sie dürfen nicht hier sein.«
    »Warum?« Megan streckte die Arme seitlich aus, wie um zu zeigen, dass sie unbewaffnet war, eine harmlose Besucherin.
    »Sie müssen wieder gehen.«
    »Das kann ich nicht. Die Männer sind längst fort.«
    Ein Vogel schrie in der Nähe, und die Frau zuckte zusammen.
    »Kann ich mit jemandem sprechen?«, fragte Megan. »Vielleicht mit dem Leiter der Station?«
    Die Frau sagte nichts. Sie sah Megan noch immer an, aber ihre Augen waren ausdruckslos geworden, müde wie die einer Mutter, die den Versuch aufgegeben hat, ihrem Kind etwas beizubringen.
    Megan ging die letzten Schritte auf die Frau zu. »Mein Name ist Megan O Flynn.« Sie streckte die rechte Hand aus.
    Die Frau senkte den Blick. Es schien, als würde sie das Tuch noch fester gegen ihren Bauch drücken. Megan schätzte sie auf Mitte, vielleicht Ende zwanzig. Sie waren gleich groß, aber die Frau hatte einen kräftigeren Körperbau und ein rundes, weiches Gesicht. Jeffrey Salter hatte ihr ein Foto gezeigt, auf dem fünf Frauen und acht Männer zu sehen waren. Sie standen vor einem Gebäude, über dessen Eingang mit blauer Farbe IPREC auf die weiße Fassade gemalt war. An das Gesicht der Frau, die vor ihr stand, konnte Megan sich nicht erinnern. Bestimmt wechselte das Personal auf der Insel ständig, dachte sie, außerdem veränderten Menschen im Lauf der Zeit ihr Aussehen.
    Megan ließ den Arm sinken. »Wir sehen uns«, sagte sie und ging an der Frau vorbei den Pfad entlang in die Richtung, in der sie die Forschungsstation vermutete. Als sie sich umdrehte, stand die Frau noch immer bewegungslos da, das Gesicht ihr zugewandt.
     
    Nach dem Dämmerlicht des Waldes kam ihr der Platz wie ein mit Helligkeit gefülltes Becken vor. Mittlerweile hatte die Luft sich erwärmt, eine Handbreit über dem Boden begann sie zu zittern. An den Rändern des rechteckigen Feldes, zwischen zwei Reihen weißgestrichener Steine, wuchsen auf Kniehöhe geschnittene Gräser und Sträucher. Schuhabdrücke und die Spuren eines Rechens und einer Schubkarre überzogen den Weg. Das Gebäude, dem Megan sich näherte, war vielleicht zehn Meter lang und gemauert. Es stand auf Säulen aus Betonröhren und hatte ein rotes Wellblechdach, auf dem

Weitere Kostenlose Bücher