Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
bin ich noch dabei, alles fein säuberlich in meine einzelnen Plastiktüten zu wickeln. Und deshalb bin ich immer der letzte.
Um sieben Uhr gehe auch ich dann zum Ort hinaus in die taufrische Morgenlandschaft. Das Land ist noch schwarz von der Nacht, die Bäume wie dunkle Felsen. Hinter der weißgrauen Bergkette wölbt sich ein aprikotfarbener, samtiger Himmel, der im Osten immer gelber und weißer wird. Dann springt die Sonne wie goldenes Messing über die grauen Wände, schnell steigt sie hoch und übergießt alles mit orangefarbenem Licht.
Ich bin wieder auf der alten Cañada, der Schafttrift nach Norden, eine tiefgrüne, saftige Spur, genau ihre vorgeschriebenen 75 Meter breit, abgegrenzt gegen die umliegenden Weiden durch einen rostigen Stacheldrahtzaun rechts und links, der die Cañada aus den endlosen Wiesen mit den Kuh- und Schafherden herausschneidet. Bald sind meine Stiefel naß von dem taufeuchten Gras, silbern glänzt die Spur der vor mir gelaufenen Freunde.
Ich bin allein mit mir und dem taubenblauen Morgenhimmel, hoch über mir jubeln unsichtbar die Lerchen, Störche schweben majestätisch in weitem Flug in die nassen Wiesen, um dann wie weiße Statuen im dunklen Grün zu stehen. Eine Landschaft im Urzustand, der Weg ist eine grüne Spur geworden, all unsere Technik und Zivilisation sind weit weg hinter den fernen Bergen, nur die Stacheldrahtzäune erinnern an unsere Zeit. Ich trinke den Frieden und die Stille eines Paradieses mit mir, den Vögeln und Gottes weitem Himmel über mir. Eichendorff kommt mir in den Sinn:
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
den schickt er in die weite Welt,
dem will er seine Wunder weisen
in Berg und Wald und Strom und Feld.
Die Bächlein von den Bergen springen,
die Lerchen jubeln hoch vor Lust;
wie wollt ich nicht mit ihnen singen
aus voller Kehl und frischer Brust.
Den lieben Gott laß ich nur walten;
der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
und Erd und Himmel will erhalten,
hat auch mein Sach auf’s Best‘ bestellt.“
Wie jedes Paradies hat auch dieses ein Ende. Nach Überquerung des Río Aragón muß ich aus den schönen, kühlen, endlosen, grünen Weiten hinauf auf steiler, steiniger Piste durch gelbes, ausgewaschenes Geröll auf einen mit schwarzgrüner, vertrockneter Macchia bewachsenen Höhenzug. Jetzt, ab elf Uhr, brennt die Sonne wieder mörderisch auf den steilen, schattenlosen Weg. Oben sehe ich schon die Windrotoren weißsilbern vor dem schwarzblauen Himmel stehen und ihre Propeller müde im Wind drehen. Am Gipfel steht noch ein altes, steinernes Kreuz bescheiden unter den Monumenten unserer Zeit. Ich bin auf dem 1100 Meter hohen Pico de la Dueña, dem letzten Ausläufer der Sierra de Gredos vor der endlosen Weite der kastilischen Meseta. Von der Hitze und dem steilen Aufstieg völlig fertig, krieche in den Schatten eines stachligen Busches. Weit, unendlich weit geht der Blick über die grün gesprenkelte Meseta, einige weiße Punkte deuten auf Häuser hin, ein gelbes Band am Horizont ist die Carretera nach Salamanca. Sonst wieder das Nichts, die Leere, die Monotonie, über die sich der ewig gleiche blaue Himmel wölbt. Ich drehe mich: daher kam ich, dahin gehe ich – es sieht alles gleich aus, 360 Grad ein erstarrtes Meer aus gelben und grünen Flecken. Die Meseta ist jetzt 900 Meter hoch und geht endlos so weiter bis an die Berge der Sierra Cantábrica im fernen Norden, wo ich noch hin muß.
Man fragt mich oft, warum ich das überhaupt mache – Jakobswege wandern. Warum ich all die Strapazen auf mich nehme, das lange Alleinsein, die Entbehrungen, die schlechten Herbergen, die Anstrengungen der langen Fußmärsche. Ja, warum mache ich das alles? Ich könnte bequem und entspannt auf meiner Terrasse in Italien sitzen oder am glasklaren Wasser des Mittelmeeres liegen, Ausflüge in die ligurischen Berge machen oder mit meiner Frau eine Autotour durch die Provence oder die Toskana. Ja, warum gerade Jakobswege?
Es sind wohl verschiedene Beweggründe, wenn ich so darüber nachdenke. Erst einmal ist es wohl eine unstillbare Neugierde, die mein ganzes Leben durchzieht, die Neugierde auf fremde Länder, unbekannte Orte, ungesehene Menschen. Diese Neugierde zog mich mit 16 Jahren mit Fahrrad und Freund Christoph 1956 nach Südfrankreich, mit 28 für zwei Jahre nach USA, später mit Frau und Kindern jeden Sommer auf die Ägäischen Inseln, dann noch später nach Ligurien in mein kleines Bergdorf, zweimal nach
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