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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Proust die Szene von Montjouvain in einem erzählerischen Vorgriff, die Begegnung zwischen Charlus und Jupien jedoch in einem erzählerischen Rückgriff.
    Sodom und Gomorrha beginnt mit einer spektakulären Szene, der Begegnung zweier Männer, die von der Natur füreinander geschaffen sind: Charlus, der dominierende, männliche Partner, der seine weibliche Natur hinter einem herrischen Gehabe verbirgt; Jupien, der weibliche Partner, der zu der seltenen Spezies jener »hommes-femmes« gehört, die sich von älteren Männern angezogen fühlen. Gleichzeitig handelt es sich aber bei dieser Szene um einen spektakulären Text, einen Text, in dem sich zwei thematische Sphären begegnen und miteinander verbinden: Proust erzählt parallel die mögliche Befruchtung einer seltenen Orchidee durch eine Hummel und das Aufeinandertreffen zweier homosexueller Männer ; dabei verknüpft er die beiden Erzählstränge durch zahlreiche metaphorische Querverbindungen. In ähnlicher Weise hat er zu Beginn der Jeunes filles einen Theaterbesuch und ein Abendessen sowie Schauspielkunst und Kochkunst in Verbindung gesetzt. Dem szenisch-erzählerischen Teil dieser Eingangsszene folgt eine ausführliche Betrachtung zum Thema Homosexualität, die eine eigentliche »intrusion d’auteur« darstellt, ein Eindringen des Autors in die fiktionale Welt seines Romans. Proust verwendet an dieser Stelle das schon für das Sainte-Beuve-Projekt entworfene Kapitel »Die Rasse der Tunten«.
    Die Ouvertüre zu Sodom und Gomorrha ( Sodome et Gomorrhe I) ist ein eigentlicher Schwellentext. Bei der Erstveröffentlichung im Mai 1921 bildete sie zusammen mit Le côté de Guermantes II einen Teilband der Recherche ; man las sie als vorläufiges Finale, als erklärende Auflösung der Rätsel, die der Baron von Charlus im vorangehenden Romanteil, dem zweiten Teil von Guermantes , Marcel aufgibt. Gleichzeitig aber signalisiert der Titel, daß sich nun nach der mondänen Welt der Guermantes neue Welten auftun, und die Recherche wird in der Folge diese Welten auskundschaften: Sodom, die Welt der männlichen, und Gomorrha, die Welt der weiblichen Homosexualität. Bezieht man die Romanhandlung auf die Zeitgeschichte, so spieltdie erste Szene im Frühjahr, die letzte im Herbst des Jahres 1899.

    Auch die erste Szene des zweiten Romanteils, die Soiree bei der Fürstin von Guermantes, steht an der Schwelle zwischen zwei Welten und oszilliert zwischen zwei Bänden der Recherche . Einerseits bildet die Soiree den Höhepunkt von Marcels fabelhafter gesellschaftlicher Karriere, die ihn vom Empfangstag bei Madame de Villeparisis über die Soiree bei derselben Dame und das Diner bei der Herzogin schließlich zu der Soiree bei der Fürstin von Guermantes führt. Wie die Entwürfe zur Recherche zeigen, war denn auch diese Szene ursprünglich als Abschluß von Le côté de Guermantes geplant. Andererseits aber zeigt Proust am Beispiel dieser Soiree zum erstenmal in ausführlicher Weise, wie die Welt von Sodom die Welt der Gesellschaft überlagert beziehungsweise unterläuft. Die Krönung von Marcels gesellschaftlicher Karriere findet allerdings nicht statt. Wegen einer Verabredung mit Albertine schlägt nämlich der Romanheld die Einladung zu dem an die Soiree anschließenden Souper im intimen Kreis der Fürstin aus. Anstatt in das Allerheiligste des Faubourg Saint-Germain einzudringen, wendet sich Marcel Albertine zu. Damit aber wendet Proust seinen Roman aus der Welt der Guermantes und der Gegend von Sodom in jene von Gomorrha.
    Vor der Begegnung zwischen Charlus und Jupien ist Marcel gegenüber den Zeichen der Homosexualität mit einer unwahrscheinlichen, unwahrscheinlich lange andauernden Blindheit geschlagen. Nach dieser Begegnung besitzt er eine ebenso unwahrscheinliche, unwahrscheinlich schnell erworbene Fähigkeit, diese Zeichen zu erkennen und zu deuten. So beginnt der Bericht über die Soiree mit einer amourösen Anekdote um den Herzog von Châtellerault und den Türsteher der Guermantes; danach gibt das Ehepaar Vaugoubert Anlaß zu einer Art Physio-, Psycho- und Soziologie des Homosexuellen und dessen Ehepartnerin; dann tritt das Personal, das heißt, es treten die jungen Sekretäre einer ausländischen Botschaft auf – zusammengesetzt nach einem einheitlichen, für Marcel jetzt völlig unzweideutig erkennbaren Kriterium. Proust jedoch liebt dasZwei- und Mehrdeutige: er vergleicht diese jungen Leute mit den jungen Israelitinnen, die in Racines Tragödie Esther den Chor

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