Aufbruch - Roman
zusammen, ehe sie gluckernd schluckte.
»Isch hab dem alles erzählt. Un auch, dat isch dajejen bin. Und wie! Und die Mamm un dä Papp auch. En Mädsche, noch nit einundzwanzisch, alleen en der Stadt. Un dann dat Jeld. Dat hab isch däm alles verzällt. Und weiß de, wa dä jesacht hat?«
Eine kuriose Mischung widerstreitender Gefühle malte sich auf dem Gesicht der Großmutter. Immer noch sah sie verwirrt, verlegen, ergeben aus wie eine, die ihren eigenen Ohren nicht traut.
Zögernd griff ich zur Tasse, führte sie zum Mund; zu heiß, ich goss ein wenig Milch hinein.
»Dä hätt jesacht, dat wär vernünftisch. Dat Hin un Her, dat wär ze viel. Un jetzt kommt dat Beste. Nu ess doch, die Schnecke schmecke dir doch sonst immer.«
Gehorsam knabberte ich ein Stück aus dem Gebäck, kaute schluckte, verschluckte mich, als die Großmutter fortfuhr: »Un dä hat auch schon ne Wohnung für disch!«
Wie die Augen der Großmutter funkelten, in der Gewissheit dem Vater mit der Autorität des Pastors im Rücken eins auswischen
zu können: »Jetzt müsse mir nur noch überlejen, wie mir dat dem Papp beibringe!«
»Ja, und wo? Wo soll ich wohnen?« Ich fühlte den klammernden Druck aus meinem Rückgrat weichen, fühlte mich weich werden, weich und warm und froh.
In Köln war gerade ein Wohnheim für katholische Studentinnen fertig geworden. Noch Zimmer frei. Kreuzkamp hatte mich schon angemeldet. Von Geld war noch keine Rede gewesen, dafür werde man einen Antrag einreichen.
»Sach aber noch nix dem Papp un dä Mamm. Isch sach dat denen morjen nach dem Mittagessen.«
»Oma«, sagte ich und griff nach ihrer Hand, die krumm und klein neben der Tasse auf dem Wachstuch lag. Einen Augenblick lang war mir, als zuckte sie zurück. Hatte ich, nach der Zeit, als sie mir die Hände zum Gebet gefaltet hatte, jemals die Hände der Großmutter berührt?
Die Hand der Großmutter war schwielig, rissig, aber warm und lebendig, voll von all dem vielen, das sie ein Leben lang gehandhabt hatten. Windeln und Kartoffelschalen, Weihwasser und Gebetbuch, unzählige Kochtöpfe, Nachttöpfe, Briketts, zentnerweise Äpfel und Birnen, den Rücken des Großvaters, mehr sicher nicht, in der Umarmung. Die Hände der Großmutter waren wie alte Wörter, die außer Gebrauch geraten. Wörter wie Sommerfrische, Gesinde, Trottoir, Kredenz, honett. Meine Hand schien sich mit dem Leben der Großmutter zu füllen, ich hielt ein Stück ihres Lebens in meiner Hand.
»Und weiß de, wie et heißt, dat Heim?«
Langsam zog die Großmutter ihre Hand unter der meinen fort, fuhr in die Schürze, holte ein Taschentuch heraus, rotweiß kariert, das Großvatertaschentuch, und schnaubte sich geräuschvoll und umständlich die Nase.
»Heldejaad-Kollesch heißt dat Heim!« Die Großmutter setzte den Namen in die Welt wie einen allerletzten Triumph, als dolmetschte sie eine Offenbarung des Allerhöchsten.
»Heldejaad von Bingen«, fuhr die Großmutter fort, »kommt ja auch vom Rhing. Un studiert war die auch.«
Die Lebensgeschichte der Hildegard von Bingen hatte mir der Ohm zur ersten heiligen Kommunion geschenkt. Ich hatte sie verschlungen und mir geschworen, zu werden wie sie: Ein Licht der Welt sein wollte ich, Jesus im Herzen und auf den Lippen und alles in Wahrheit würdig und recht. Weit hinaus in die Welt. Sursum corda. Erhebet die Herzen!
Nach der Nacht auf der Lichtung hatte ich das Buch mit einem zweiten, auch vom Ohm, zur Firmung, ein Werk der Autorin selbst , auf den Speicher gepackt. Was scherte mich damals eine studierte Nonne? Ich war mit Sigismund, Michael Kohlhaas und Sartres Ekel beschäftigt. Nun konnte ich es kaum erwarten, an die Kiste zu kommen.
»Un dann ziehs de dir auch widder mal wat Nettes an! En so einer Hos lassen die disch da nit rein!«
Energisch steckte die Großmutter das Taschentuch wieder in die Schürze. »Aber vielleischt has de rescht. Wer studiert, braucht keine Mann.«
»Oma!«
»Is doch wahr. Die im Kloster wisse jar nit, wie jut sie et haben.«
»Aber du hast doch den Opa gehabt!«, erwiderte ich verblüfft. »Der war doch so lieb!«
»Ja, Heldejaad. Un fünf Kinder. Eijentlisch acht. Ävver fünf am Leben. Un keins davon auf de schiefe Bahn. Der liebe Jott hat et wohl esu jewollt. Aber du … Noch e Tässje Kaffe?«
Ich schob der Großmutter meine Tasse zu.
»Weiß de, Heldejaad …«, die Großmutter schaute an mir vorbei auf das Großvaterkreuz, »du kennst disch doch aus in dr Bibel. Dat Evanjelium von Martha un
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