Aufruhr in Oxford
der Bücher herausgefallen, die ich benutze», sagte Miss de Vine und zwinkerte bei der Frage nervös hinter ihrer Brille. «Eben erst.»
«Wann haben Sie das Buch zuletzt benutzt?»
«Das», sagte Miss de Vine und mußte wieder zwinkern, «ist das Merkwürdige daran. Gar nicht. Miss Hillyard hat es sich gestern abend ausgeliehen, und Mrs. Goodwin hat es mir heute morgen zurückgebracht.»
Wenn Harriet sich überlegte, was Miss Hillyard alles über Mrs. Goodwin gesagt hatte, wunderte es sie doch ein wenig, daß sie sich ausgerechnet diese Frau für ihren Botengang ausgesucht hatte. Aber unter gewissen Umständen war es vielleicht sogar eine kluge Wahl.
«Sind Sie sicher, daß dieses Blatt nicht schon gestern darin war?»
«Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich habe an verschiedenen Stellen etwas gesucht und meine, dabei hätte ich das sehen müssen.»
«Haben Sie es Miss Hillyard direkt in die Hand gegeben?»
«Nein. Ich habe es vor dem Abendessen in ihr Fach gelegt.»
«So daß also jeder herankommen konnte?»
«O ja.»
Zum Verzweifeln! Harriet nahm das Blatt und ging weiter. Jetzt wußte man nicht einmal genau, gegen wen die Drohung gerichtet war, geschweige von wem sie kam. Sie holte Peters Brief und stellte fest, daß sie inzwischen einen Entschluß gefaßt hatte. Sie hatte gesagt, sie werde die Firmenleitung selbst anrufen, und genau das würde sie jetzt tun. Peter war zwar nach außen nicht der Kopf des Unternehmens, aber zweifellos das Gehirn. Sie meldete das Gespräch an. Sie wußte nicht, wie lange es dauern würde, hinterließ aber an der Pforte, daß sie das Gespräch erwarte, und wenn es durchkomme, solle man sie unverzüglich suchen. Sie war unvorstellbar nervös.
Die nächste Neuigkeit war, daß es einen heftigen Streit zwischen Miss Shaw und Miss Stevens gegeben hatte, die sonst die besten Freundinnen waren. Als Miss Shaw die ganze Geschichte von dem Abenteuer der vergangenen Nacht hörte, hatte sie Miss Stevens vorgeworfen, Miss Newland Angst eingejagt und sie damit in den Fluß getrieben zu haben; Miss Stevens wiederum hatte Miss Shaw vorgeworfen, bewußt mit den Gefühlen des Mädchens gespielt und sie damit überhaupt erst in diesen Gemütszustand gebracht zu haben.
Die nächste Friedensstörerin war Miss Allison. Wie Harriet schon im vorigen Trimester feststellen konnte, hatte Miss Allison die Angewohnheit, Leuten weiterzusagen, was andere über sie gesagt hatten. In ihrer Naivität hatte es ihr nun gefallen, die von Miss Hillyard fallengelassenen Andeutungen an Mrs. Goodwin weiterzugeben. Mrs. Goodwin hatte Miss Hillyard daraufhin zur Rede gestellt, und es hatte eine höchst unschöne Szene gegeben, in der Miss Allison, die Dekanin und die arme kleine Miss Chilperic, die nur durch unglückliche Umstände in die Diskussion hineingeraten war, sich auf Mrs. Goodwins Seite gegen Miss Pyke und Miss Burrows stellten, die zwar auch fanden, daß Miss Hillyard sehr unüberlegt gesprochen habe, sich aber dagegen verwahrten, daß der ledige Stand als solcher geschmäht wurde. Schauplatz dieses Ärgernisses war der Dozentengarten.
Schließlich hatte Miss Allison die Situation weiter angeheizt, indem sie den Vorfall in den lebhaftesten Farben Miss Barton schilderte, die ihrerseits empört hinging und Miss Lydgate und Miss de Vine ausführlich darlegte, was sie von Miss Hillyards und Miss Allisons Geisteszustand hielt.
Es war gar kein erfreulicher Vormittag.
Zwischen den Verheirateten (oder demnächst Verheirateten) und den Unverheirateten kam Harriet sich vor wie Äsops Fledermaus zwischen den Vögeln und den Säugetieren; das kommt davon, dachte sie, wenn man sich die Hörner in aller Öffentlichkeit abgestoßen hat. Beim Mittagessen herrschte eine gespannte Atmosphäre. Harriet kam ein wenig zu spät hin und mußte feststellen, daß die Hohe Tafel sich in zwei feindliche Lager gespalten hatte, mit Miss Hillyard am einen und Mrs. Goodwin am andern Ende. Sie fand einen leeren Stuhl zwischen Miss de Vine und Miss Stevens und vergnügte sich damit, diese beiden und Miss Allison, die auf der andern Seite von Miss de Vine saß, in eine Diskussion über Währung und Inflation zu verwickeln. Sie verstand von diesem Thema nichts, die andern aber verstanden natürlich eine Menge davon, und ihr Takt wurde belohnt. Die Unterhaltung zog Kreise; die Hohe Tafel bot den anwesenden Studentinnen ein nicht mehr so grimmiges Bild, und Miss Lydgate strahlte Beifall. Alles lief wunschgemäß, bis
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