Ausgeliefert: Roman (German Edition)
Notwehr?«, sagte sie. »Er hat ja nicht versucht, ihn zu vergewaltigen, oder? Und Sie haben ihn vermutlich ohnehin dazu herausgefordert.«
»Was?«, fragte Holly.
»Mit dem Hintern vor ihm gewackelt«, sagte die Frau. »Wir wissen über euch neunmalkluge kleine Stadtschlampen Bescheid. Der arme alte Peter hatte keine Chance.«
Holly starrte sie bloß an. Dann sah sie zur Tür hinüber.
»Wo ist Reacher jetzt?«, fragte sie.
»Keine Ahnung«, sagte die Frau. »Wahrscheinlich irgendwo an einem Baum angekettet, vermute ich.«
Dann grinste sie.
»Aber ich weiß, wo er hinkommen wird«, sagte sie. »Auf den Exerzierplatz. Dort machen sie solche Dinge gewöhnlich. Und wir werden alle hinbefohlen, um bei dem Spaß zuzusehen.«
Holly starrte sie an. Dann schluckte sie. Sie nickte.
»Würden Sie mir mit diesem Bett behilflich sein?«, fragte sie. »Irgendetwas stimmt nicht.«
Die Frau schien kurz zu überlegen und trat dann neben sie.
»Was ist denn los damit?«
Holly zog die Decke zurück und warf die Matratze auf den Boden.
»Die Schrauben scheinen locker zu sein«, sagte sie.
»Wo?« fragte die Frau.
»Hier«, erklärte Holly.
Sie packte das lange Stück Rohr mit beiden Händen. Riss es in die Höhe, wirbelte herum und schmetterte es der Frau wie eine Axt gegen den Kopf. Der Flansch traf sie wie eine Faust aus Metall. Ihre Haut wurde aufgerissen und ein sauberes Rechteck aus Knochen bohrte sich tief in ihr Gehirn. Sie prallte von der Matratze ab und war tot, ehe sie auf dem Boden aufschlug. Holly stieg vorsichtig über das Tablett mit dem Mittagessen weg und hinkte dann seelenruhig auf die offene Tür zu.
30
Harland Webster kam am Donnerstag um fünfzehn Uhr Ostküstenzeit wieder aus Colorado im Hoover Building an. Er begab sich sofort in sein Büro und sah sich die in seiner Abwesenheit eingegangenen Mitteilungen an. Dann drückte er den Summer für seine Sekretärin.
»Wagen«, sagte er.
Er fuhr mit seinem persönlichen Fahrstuhl in die Garage hinunter, wo sein Fahrer auf ihn wartete. Sie gingen gemeinsam zu der Limousine und stiegen ein.
»Weißes Haus«, sagte Webster.
»Sie treffen sich mit dem Präsidenten, Sir?«, fragte der Fahrer überrascht.
Webster sah mit finsterer Miene auf den Hinterkopf des Mannes. Er traf sich nicht mit dem Präsidenten. Er traf den Präsidenten nicht sehr oft. Und er brauchte niemanden, der ihn daran erinnerte, ganz bestimmt nicht einen dämlichen Fahrer, der schon überrascht wirkte, dass eine solche Möglichkeit überhaupt bestand.
»Generalbundesanwältin«, sagte er. »Sie hält sich gerade im Weißen Haus auf.«
Sein Fahrer nickte stumm. Verwünschte sich selbst dafür, dass er den Mund nicht hatte halten können. Fuhr langsam und unauffällig weiter. Die Entfernung zwischen dem Hoover Building und dem Weißen Haus betrug genau sechzehnhundert Meter. Nicht ganz eine Meile. Nicht einmal weit genug, dass die kleine Ziffer im Tachometer auf dem Armaturenbrett der Limousine weitersprang. Zu Fuß zu gehen wäre schneller gegangen. Und billiger gewesen. Den kalten Achtzylinder anzulassen und ihn mitsamt seiner Panzerung sechzehnhundert
Meter weit zu bewegen verschlang eine ganze Menge Benzin. Aber der Direktor konnte nirgends zu Fuß hingehen. Nach allgemein verbreiteter Theorie würde er ermordet werden. Tatsächlich gab es wahrscheinlich etwa acht Leute in der ganzen Stadt, die ihn überhaupt erkennen könnten. Nur so ein weiterer Washingtoner Bürokratentyp im grauen Anzug mit unauffälliger Krawatte. Anonym. Auch ein Grund, weshalb der alte Webster nie sonderlich gut gelaunt ist, dachte sein Fahrer.
Webster kannte die Generalbundesanwältin recht gut. Sie war seine Vorgesetzte, aber dass er sie so gut kannte, war nicht etwa auf ihre persönlichen Besprechungen zurückzuführen. Das kam vielmehr von den gründlichen Untersuchungen, die das Büro vor ihrer Bestätigung im Amt durchgeführt hatte. Webster wusste wahrscheinlich mehr über sie als irgendjemand sonst auf der ganzen Welt. Ihre Eltern und Freunde und Freundinnen und ihre ehemaligen Kollegen kannten sie jeweils aus ihrer eigenen, ganz speziellen Perspektive. Webster hatte all diese Perspektiven zusammengeführt und verfügte über das ganze Bild. Ihre FBI-Akte nahm etwa gleich viel Raum auf einer Diskette ein wie ein ganzer Roman. In dieser Datei gab es nichts, was sie ihm unsympathisch machte. Zu Anfang ihrer Karriere war sie eine ziemlich radikale Rechtsanwältin gewesen, hatte sich eine
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