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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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die Hälfte Muslime–, haben wir eine kulturelle Einbürgerung nur sehr unzureichend zustande gebracht. Wer die Zahlen der Muslime in Deutschland erhöhen will, nimmt eine zunehmende Gefährdung unseres inneren Friedens in Kauf. Für einen realistisch Urteilenden bleibt nur die Erkenntnis, daß wir die Alterung unserer Nation als unvermeidlich akzeptieren und die deshalb notwendigen Anpassungen unserer Gesellschaft tatkräftig einleiten müssen. Sie reichen von den Deregulierungen des Arbeitsmarktes und der Anhebung der Erwerbsquote über die Verkürzung der Schul- und Ausbildungs- und Studiendauer bis hin zum Kinder- und zum Elterngeld.
    Damit die Veränderungen unseres gesetzlichen Rentensystems für die Bürger einleuchtend und für die Wähler akzeptabel werden, sollten die regierenden Politiker die Fakten und Zahlen ohne Beschönigung immer wieder öffentlich darlegen. Auch die verantwortungsbewußten Medien haben hier eine Aufgabe. Dieser Prozeß wird für viele Politiker schmerzhaft werden. Manche werden sich den Konsequenzen verweigern, andere werden sich opportunistisch zu unwahrhaftigen Versprechungen versteigen. Besonders die ehemaligen Kommunisten und andere Klassenkampf-Ideologen, die sich in Deutschland neuerdings in »Die Linke« umbenannt haben, werden große propagandistische Anstrengungen unternehmen, um naiven Wählern ihre vermeintlichen Patentlösungen vorzugaukeln. Tatsächlich würden aber ihre Vorstellungen in ähnlicher Weise zum sozialökonomischen Bankrott führen wie vor Zeiten in der damaligen DDR; nur mit Hilfe westdeutscher Kapitalzufuhr konnte die DDR-Regierung ihren ökonomischen Zusammenbruch fast über ein ganzes Jahrzehnt hinauszögern. Das fünfmal so große heutige Deutschland aber könnte nicht auf von vornherein verlorene Kapitalzuflüsse von außen hoffen.
    Jedenfalls wird die Reformdebatte nicht auf eine oder zwei Legislaturperioden des Bundestages beschränkt bleiben. Manche Einsichten werden nur langsam reifen. Auch später werden die notwendigen Veränderungen gewiß nicht in einem einzigen Schritt verwirklicht werden können. Und höchstwahrscheinlich werden weiterhin linksaußen und rechtsaußen Demagogen auftreten und populistische Illusionen verbreiten, von »Sozialraub« reden oder »die Globalisierung« für unsere sozialökonomischen Probleme verantwortlich machen. Deshalb soll an dieser Stelle die simple Wahrheit hervorgehoben werden: Unsere Rentenprobleme sind so gut wie überhaupt nicht vom internationalen oder globalen Wettbewerb verursacht. Auch wenn wir dem internationalen Wettbewerb nicht ausgesetzt wären, stünden wir in gleicher Weise vor der Aufgabe, unser Rentensystem der allgemeinen Alterung unserer Gesellschaft anzupassen.
    Entscheidend wird die Einsicht der Sozialdemokratie werden, daß die Rente keineswegs aus den eigenen früheren Einzahlungen der Rentner finanziert wird, sondern allein aus den gegenwärtigen Einzahlungen der Arbeitenden und der Steuerzahler. Der sogenannte Generationenvertrag beruht auf dem Prinzip, daß jeweils die nachfolgende Generation die Renten und Pensionen der voraufgegangenen Generation durch ihre Versicherungsbeiträge und Steuern finanziert. Die heutige Generation darf darauf vertrauen, daß das gleiche Prinzip auch für sie gelten wird, wenn sie selber später das Rentenalter erreicht hat. Nur insofern ist der oft zu hörende Satz gerechtfertigt: »Wir haben unsere Rente redlich erarbeitet.«
    Weil heute überall in Europa und besonders in Deutschland die Rentner immer zahlreicher werden und die nachfolgende zahlende Generation immer mehr abnimmt, wird die Finanzierung der Renten in bisheriger Höhe überall schwieriger. Theoretisch sind drei Auswege denkbar:
    1. Entweder muß die Rentenbezugsdauer dadurch verkürzt werden, daß die Rente erst in einem späteren Lebensalter einsetzt, so daß durch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit die insgesamt alljährlich benötigten Finanzierungssummen stabil gehalten werden;
    2. oder man muß die Renten kürzen;
    3. oder man läßt die Renten wie bisher steigen – damit steigen jedoch auch die benötigten Finanzsummen, und man belastet dementsprechend die aktiv Arbeitenden und Verdienenden stärker als bisher mit Beiträgen, Abgaben und Steuern.
    Natürlich sind alle möglichen Kombinationen zwischen diesen drei Methoden der Anpassung denkbar. Eine wesentlich stärkere finanzielle Belastung der arbeitenden Generation wird allerdings wohl nur bei schnell wachsendem Wohlstand

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