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Möglicherweise hätte dies bereits genügt, um Seth zu veranlassen, Erika in die Luft zu sprengen. Außerdem zählten im Augenblick weder Seth noch Eiszapfen. Nun zählte nur noch Erika. Saul hatte die Arena inzwischen fast umrundet und eilte, seinen Blick unverwandt auf Erika gerichtet, rascher auf seine Frau zu. Sie saß weiter mit vornüber gesunkenem Kopf da und hatte sich bisher nicht ein einziges Mal gerührt. Sollte Seth gegen die Abmachungen verstoßen haben? War Erika tot?
Ohne auf ihre wütenden Proteste zu achten, bahnte Saul sich energisch einen Weg durch eine Gruppe von Touristen. Er machte sich nicht einmal die Mühe, eine Entschuldigung für sein rüdes Verhalten zu murmeln. Inzwischen war er nur noch dreißig Meter von Erika entfernt, und sie hatte sich noch immer nicht von der Stelle gerührt. Er begann zu laufen. Zwanzig Meter. Noch immer kein Lebenszeichen. Endlich erreichte er sie. Als er ihren Kopf hochhob und ihre Augenlider leicht beben sah, sank er in die Knie und hätte vor Erleichterung fast geweint.
»Erika, ich bin's, Saul.« Er legte seinen Arm um ihre Schultern.
Doch schon im nächsten Augenblick erstarrte er wie gelähmt, als er unter dem Anorak den Metallbehälter an ihrem Rücken spürte. Er tastete mit den Händen ihren ganzen Oberkörper ab, bis seine Finger auf den Metallgürtel um ihre Taille stießen. Seth hatte ihm also nichts vorgemacht.
Saul wirbelte herum und spähte auf die andere Seite der Arena hinüber. Seth hatte Pater Dusseault inzwischen erreicht und aufgerichtet und führte ihn auf einen der Ausgänge zu. Der Pater war noch etwas wacklig auf den Beinen. Ein paar Touristen bedachten ihn zwar mit verwunderten Blicken, um sich dann jedoch sofort wieder ihren Kameras und dem von der untergehenden Sonne in dramatisches Rot getauchten Bauwerk zuzuwenden. Am Ausgang angelangt, drehte Seth sich noch einmal um und hob in spöttischer Nachahmung des alten römischen Grußes seinen rechten Arm. Und im nächsten Augenblick war er zusammen mit dem Pater verschwunden.
Warten Sie fünf Minuten, bevor Sie das Kolosseum verlassen, hatte Seth sich am Telefon ausbedungen.
Also würde er fünf Minuten warten.
Er wandte sich wieder Erika zu und schloß sie in die Arme. »Ich bin es, Saul«, redete er tröstend auf sie ein. »Du bist in Sicherheit.« Er küßte sie. »Jetzt wird alles wieder gut. Du hast nichts mehr zu befürchten.«
4
Von ihrem Standort in dem schattigen Park im Osten von Neros Palast spähten Drew und Arlene zum Kolosseum hinüber. Allerdings wurde ihre Sicht durch den dichten Verkehr auf der Via Labicana erheblich behindert. Da sie von ihrem Standort nur die Nord- und Ostseite des Kolosseums überblicken konnten, würden sie Pater Dusseault und seinen Entführer vermutlich gar nicht zu sehen bekommen. Es war jedoch anzunehmen, daß die beiden sich auf der Via Labicana entfernen würden, weshalb Drew sich weniger auf das Kolosseum konzentrierte als auf die Straße, die daran vorbeiführte.
Er sah auf seine Uhr. Fünfundzwanzig Minuten nach sechs. Der Austausch hätte Punkt sechs Uhr stattfinden sollen. Wenn nicht irgend etwas schiefgegangen war, hatten sie vermutlich einfach übersehen, wie Pater Dusseault fortgeschafft wurde.
Dennoch behielt Drew weiter die Straße im Auge. Falls er und Arlene den Pater bis sieben Uhr nicht gesehen haben sollten, würden sie vereinbarungsgemäß die nächste Telefonzelle aufsuchen, um dort Sauls Anruf zu erwarten.
Plötzlich wurde Drew von Arlene am Arm gepackt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurde ein Geistlicher - Pater Dusseault - von einem anderen Mann inmitten einer Touristengruppe aus dem Kolosseum geführt. Ein grauer Citroen hielt am Straßenrand. Der Pater wurde auf den Rücksitz gedrängt, und nachdem auch sein Begleiter eingestiegen war, fuhr der Citroen sofort wieder los.
Das ganze Manöver hatte höchstens zehn Sekunden gedauert, aber Drew hatte trotz der Ablenkung durch den Verkehr und die Touristen genug gesehen. Er hatte den rothaarigen Mann, der den Pater begleitet hatte, und den Blonden, der in dem Citroen vorgefahren war, sofort erkannt. Seth und Eiszapfen. Er riß sich von Arlene los und rannte zur Straße hinunter. Arlene folgte ihm. Es bestand nach wie vor die Gefahr, daß Seth und Eiszapfen ein paar Helfer in der Umgebung des Kolosseums postiert hatten, um sich zu vergewissern, daß niemand dem Citroen folgte. In diesem Fall hätte einer dieser Aufpasser, wenn er Drew und Arlene entdeckt
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