AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
letzte Schmuckstück ehrerbietig vor sich hin, nahm das Glas heraus und lehnte sich aufatmend in die Kissen zurück. Ein eigenartiger Glanz lag in den trüben Augen und er bedeutete Jermyn, dass er reden wollte.
Schläfrig wie er war, hatte Jermyn kein Verlangen nach geistiger Unterhaltung, nur widerwillig öffnete er seinen Geist. Die demütige Dankbarkeit, die ihm entgegenkam, rührte ihn jedoch und er wandte sich dem alten Mann zu.
»Mein lieber junger Freund, Ihr ahnt nicht, welche Freude Ihr mir gemacht habt. Ich durfte in meinem hohen Alter noch einmal eines der großen Wunder dieser Welt in den Händen halten. Und ich kann Euch beruhigen, die Stücke sind alle echt, unbeschädigt und vollständig. Nur Euer Ring fehlt. Sicher werdet Ihr ihn dazulegen, da er den Zweck erfüllt hat, Euch zu dem Schatz zu führen.«
Jermyn runzelte die Stirn. Er hatte geplant, den Ring zu behalten, zur Erinnerung an diesen denkwürdigen Einbruch – den ersten, den er mit Ninian gemeinsam begangen hatte. Aber Vitalonga schien keinen Zweifel zu hegen, er lachte glucksend.
»Wie soll ich Euch danken, Jermyn? Ich habe nicht geglaubt, dass ich das einmal zu einem Juwelendieb sagen würde. Aber durch Euch kommt der Schatz an seinen angestammten Platz zurück und das ist bei Dingen von solcher Macht besser so. Kommt, seid gescheit, schüttelt nicht den Kopf. Solche Dinge bringen Tod und Verderben, wenn sie in die falschen Hände geraten.«
Ganz unrecht hatte er nicht, das musste Jermyn zugeben. Dem Mann mit dem Goldnagel hatte er den Tod gebracht und wer konnte schon sagen, welches Schicksal Fortunagra ereilen würde – nicht dass es ihn kümmerte.
»Ich weiß schon, wie Ihr uns danken könnt.«
Vitalonga neigte fragend den Kopf, höflich, aber auch ein wenig beunruhigt. »Wenn es in meiner Macht steht ...«
Jermyn grinste, man musste kein Gedankenleser sein, um zu erkennen, dass der alte Mann ihm misstraute.
»Die letzte Nacht war etwas unruhig, gelinde gesagt. Ich könnte etwas von Eurem bitteren Gebräu vertragen, sonst macht mein Kopf gleich mit Eurer Tischplatte Bekanntschaft.«
Hastig, aber sichtlich erleichtert, rappelte sich der Kunsthändler aus den Kissen hoch. »Verzeiht, mein Freund. In der Aufregung habe ich die Pflichten der Gastfreundschaft vergessen. Sogleich sollt Ihr den erquickenden Trank bekommen.«
Als der Alte mit den Gerätschaften für den Kahwe im vorderen Zimmer verschwunden war, fragte Ninian leise:
»Wo geht er hin?«
»Er macht Kahwe, ein bitteres Getränk, das die Müdigkeit vertreibt. Ich kann kaum noch aus den Augen sehen.«
»Und warum habt ihr euch so komisch angesehen?«
»Er hat keine Zunge mehr, jemand hat sie ihm rausschneiden lassen.«
»Was? Wie grausam.« Sie schüttelte sich.
»Ja, schön ist es nicht. Jedenfalls muss er alles, was er sagen will, auf eine kleine Tafel schreiben. Aber ich kann mit ihm ohne Worte sprechen , verstehst du, das geht schneller. Er weiß 'ne Menge und ohne seine Hilfe hätte ich den Schatz nicht gefunden, vom Klauen ganz zu schweigen. Wie gefällt er dir übrigens?«
»Vitalonga? Wie soll ich das wissen, wenn ich ihn nicht kenne und nicht mit ihm reden kann?«, erwiderte Ninian ungehalten. Sie fühlte sich erschöpft und überwach zugleich. Der Hunger zwickte und sie nahm es Jermyn übel, dass er sie in diese trübe Höhle geschleppt hatte.
»Ach, Quatsch, den Schatz meine ich. Gefällt er dir? Möchtest du nicht solche Juwelen besitzen?«, fragte er lauernd. Ninian verzog missmutig das Gesicht.
»Ich weiß nicht. Ich finde ihn barbarisch, diesen Schatz, und ich verstehe nicht, was so besonders an ihm ist.«
Vitalonga kam mit der dampfenden Kanne zurück und Jermyn sog gierig den aromatischen Duft ein. Er leerte die kleine Tasse in winzigen, hastigen Schlucken, denn das Getränk war glühend heiß. Vitalonga sah ihm lächelnd zu und schenkte ihm bereitwillig ein zweites Mal ein. Fragend hob er die Kanne in Ninians Richtung, aber sie hatte nur einmal misstrauisch an dem bitteren Trank genippt und schüttelte heftig den Kopf. Vitalonga sah Jermyn an.
»Das Fräulein schätzt den Kahwe nicht, und meine Person auch nicht, wie mir scheint.«
Jermyn grinste.
»Macht Euch nichts daraus, Vitalonga, sie ist nur hungrig und deshalb schlecht gelaunt. Übrigens schätzt sie auch den Schatz nicht.«
»Was?«
Die Verachtung seiner eigenen Person und seines geliebten Trankes kränkte den alten Mann nicht weiter, aber dass dem überwältigenden Kunstwerk die
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