Ayesha - Sie kehrt zurück
anderswo trug.
»Doch ich möchte diese Geschichte hören«, fuhr sie fort, und ihre Stimme klang drängend. »Nicht alles auf einmal heute abend, denn ich weiß, daß ihr beide müde seid; nur einen Teil davon. Um die Wahrheit zu sagen, Fremde, es herrscht eine gewisse Eintönigkeit in diesen Hallen der Meditation, und niemand kann sich nur von Vergangenem nähren. Deshalb freue ich mich, eine Geschichte von draußen zu hören. Erzähle du sie mir, Leo, so kurz, wie du willst.«
»Priesterin«, sagte Leo knapp, »ich gehorche deinem Befehl. Vor vielen Jahren, als ich jung war, reisten mein Freund und Adoptivvater und ich in ein wildes Land und fanden dort eine göttliche Frau, die die Zeit besiegt hatte.«
»Dann muß diese Frau sehr alt und häßlich gewesen sein.«
»Ich sagte, Priesterin, daß sie die Zeit besiegt hatte, nicht, daß sie sie erlitt, denn sie besaß die Gabe der ewigen Jugend. Und sie war nicht häßlich, sondern die Schönheit selbst.«
»Also, Fremder, hast du sie um ihrer Schönheit willen verehrt, wie es ein Mann tut.«
»Ich habe sie nicht verehrt, ich habe sie geliebt, das ist ein Unterschied. Der Priester Oros verehrt dich, die er Mutter nennt. Ich habe diese Unsterbliche geliebt.«
»Dann solltest du sie auch jetzt noch lieben. Oder vielleicht auch nicht, da die Liebe ein sehr sterbliches Ding ist.«
»Ich liebe sie noch immer«, antwortete er, »obwohl sie gestorben ist.«
»Was? Wie ist das möglich? Du hast gesagt, daß sie unsterblich ist.«
»Vielleicht schien sie nur zu sterben; vielleicht hat sie sich nur verändert. Auf jeden Fall habe ich sie verloren, und deshalb suche ich sie seit so vielen Jahren.«
»Und warum suchst du sie hier auf meinem Berg, Leo Vincey?«
»Weil eine Vision mir sagte, daß ich den Rat seines Orakels einholen müsse. Ich bin hergekommen, um etwas über meine verlorene Liebe zu erfahren.«
»Und du, Holly? Hast du auch eine Unsterbliche geliebt, deren Unsterblichkeit, wie es scheint, doch dem Tod unterliegen mußte?«
»Priesterin«, antwortete ich, »ich habe geschworen, bei dieser Suche mitzuhelfen. Wohin sie meinen Adoptivsohn führt, dahin folge ich ihm. Er folgt einer Schönheit, die tot ist ...«
»Und du, Holly, folgst ihm. Also folgt ihr beide der Schönheit, wie es Männer immer tun, da sie blind und verrückt sind.«
»Nein«, antwortete ich, »wenn sie blind wären, würde Schönheit ihnen nichts bedeuten, da sie sie nicht sehen könnten, und wenn sie verrückt wären, würden sie sie nicht erkennen, wenn sie sie sähen. Wissen und Sehen gehört den Weisen, o Hes.«
»Du hast einen schnellen Verstand und eine rasche Zunge, Holly, so wie ...« Sie unterbrach sich, und sagte dann: »Sagt mir, hat meine Dienerin, die Khania von Kaloon, euch gastfreundlich in ihrer Stadt aufgenommen und euch rasch auf den Weg zum Berg gebracht, wie ich es ihr befohlen habe?«
»Wir wußten nicht, daß sie deine Dienerin ist«, antwortete ich. »Gastfreundschaft haben wir von ihr erhalten, und mehr als genug, doch wurden wir von ihrem Hof durch die Hunde des Khans auf den Weg gebracht, ihres Ehemannes. Sag uns, Priesterin, was du von unserer Reise weißt.«
»Nur wenig«, antwortete sie. »Vor mehr als drei Monaten entdeckten meine Späher euch in den fernen Bergen, und als sie während der Nacht nahe herangeschlichen waren, hörten sie euch über das Ziel eurer langen Reise sprechen, kehrten sofort zurück und erstatteten mir Bericht. Daraufhin befahl ich der Khania Atene und dem alten Schamanen, ihren Großonkel und Wächter des Tores, euch in Empfang zu nehmen und so schnell wie möglich hierher zu bringen. Aber für Männer, die darauf brennen, die Antwort auf eine Frage zu bekommen, habt ihr euch sehr viel Zeit gelassen.«
»Wir kamen, so rasch wir konnten, o Hes«, sagte Leo; »und wenn deine Späher uns in den Bergen finden konnten, wo keine Menschen leben, müßten sie auch in der Lage gewesen sein, dir den Grund für die Verzögerung mitzuteilen. Deshalb bitte ich dich, die Erklärung nicht von uns zu verlangen.«
»Nein, ich werde Atene selbst danach fragen, denn sie wartet draußen«, sagte die Hesea kalt. »Oros, führe die Khania herein!«
Der Priester wandte sich um, ging rasch zu der Tür, durch die wir den Schrein betreten hatten und trat hinaus.
»Jetzt also«, sagte Leo nervös in die Stille, die folgte, und er sprach englisch. »Jetzt wünschte ich, irgendwo anders zu sein. Ich glaube, es wird Streit geben.«
»Ich glaube es
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