BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Tod hatte vieles relativiert und manches Gefühl für alle Zeit erstickt. »Und nun? Was sollen wir nun tun?«
»Wir warten auf die Ankunft der anderen«, sagt Zoe. »Was sonst?«, Sie ist einen Kopf kleiner als ich, aber etwas stämmiger gebaut.
»Und wozu?«, fragt Loth, in dem die Enttäuschung noch heftiger zu nagen scheint als in uns anderen. »Wir können die Sache abblasen! Nun haben wir auch unseren letzten Sinn verloren. Allein werden wir uns in diesem magischen Gang, von dem wir nicht wissen, wer ihn geschaffen hat und wozu, niemals zurechtfinden!«
»Unser einziger Vorteil ist es, dass wir nichts mehr zu verlieren haben«, hält Natan dagegen. »Warten wir auf die anderen und besprechen dann, wie es weitergehen soll. Ob wir uns noch einmal in alle Himmelsrichtungen zerstreuen wollen, oder -«
»Oder?«, Meine Frage ist rhetorischer Natur.
Ich kenne Natans Idee im selben Moment, als sie in seinem Hirn geboren wird. Mit Gedankenlesen hat dies nichts zu tun. Es ist einfach, als wären zwölf Hirne
eins
. Immer und überall.
»Warum hat unser Vater uns wohl wirklich zu dem gemacht, wie wir heute sind?«
Drei Augenpaare richten sich auf Zoe, die philosophiert, was jeden von uns von Zeit zu Zeit bewegt.
»Wir müssen noch eine andere Aufgabe haben als die, die wir uns selbst nach 1666 gegeben haben. Wenn wir sie wüssten, könnten wir versuchen, wenigstens sie zu erfüllen...«
»Aber wir kennen sie nicht«, wischt Natan ihren Einwand harsch beiseite. »Er hat es nicht für nötig befunden, sie uns zu verraten, als Er damals in uns fuhr, um uns mit einem Abglanz Seiner eigenen Macht auszustatten.«
»Wahrscheinlich«, ergreift wieder Zoe das Wort, »wäre sie ohne Seine Gegenwart auch ganz und gar sinnlos.«
Wir anderen nicken.
Die Zeit verstreicht.
Nacheinander treffen sämtliche Waisen des Satans in der Festung der Einsamkeit ein, und als wir vollzählig sind, treffen wir den Entschluss, der uns zu Lemmingen macht.
Todesmutig werden wir uns in den rätselhaftesten aller Abgründe werfen.
Wer uns damals hätte sehen können, der wäre überzeugt gewesen, eine Prozession ziehe zum Rand des alten Uruk – ein Zug zu Ehren eines Verstorbenen, und im Grunde war es auch nichts anders.
Wenngleich der Tod, der uns in Bewegung setzte, seinerzeit bereits 39 Jahre her war. Damals, in London, war unser Vater von furchtlosen Gegenspielern in die Dimension zurückgeschleudert worden, die ihm zu eng geworden war. Seine Manifestation war restlos getilgt worden – mit unabsehbaren Folgen für die Zukunft. Eine solch umfassende Niederlage hatte er nie zuvor erlitten, obschon er seit ewiger Zeit in unterschiedlichster Gestalt auf Erden wandelte. Wenn er kam, säte er Zwietracht und Chaos – und kehrte wieder heim in die Gefilde des Wahnsinns, die nicht umsonst Hölle heißen.
Eine Aussaat wie die seine reift erst in vielen Menschengeschlechtern. Es braucht Generationen, bis der Tag naht, an dem das Dunkel angemessen Früchte trägt. Oft nur einmal in einem Jahrtausend ist die Konstellation ideal, sind die Bedingungen perfekt, um einen
großen
Schritt auf das Endziel zuzutun.
Was ich darüber weiß und sagen kann, weiß ich von meinem Vater, den ich so nenne, weil er sich weit mehr um mich kümmerte, als es mein leiblicher Erzeuger, der auch lange schon tot und verfault in der Erde liegen mag, je tat. Auch nicht die Frau, deren Schoß mir einst, solange ich ungeboren war, Wärme und Geborgenheit schenkte.
Auch daran geistern noch verschwommene Erinnerungen durch mein Hirn. Ich weiß nicht, wie ich sie verbannen könnte.
»Dort«, höre ich Natan rufen, »dort ist es! Seht ihr das vom Wind gebeutelte Zelt?«
Es ist nicht zu übersehen. Dort vorn hat jene Elisabeth mit den Männern aus Mos Iranshars Karawanserei campiert. Und mit dem Quajaren Karim Joran, der versucht hat, ihr ein treuer Freund und Ratgeber zu sein. Bis der Durst eines blutsüchtigen Untoten ihm zum Verhängnis wurde. Einer Kreatur, die
wir
auf ihn hetzten. Und die uns gemeinsam mit anderen Kreaturen half, Elisabeth in unsere Gewalt zu bringen.
Vorübergehend. Zu kurz, um Nutzen daraus zu schlagen.
Wir erreichen die Grabungsstätte.
Unweit der Stelle liegt das, was von Uruk übrig blieb – was die Jahrtausende von der Metropole eines gewaltigen Reiches übrig ließen.
Sumer.
Vater war schon dort zu Hause...
Vor uns liegt eine zweiundzwanzigstufige Treppe. Sie führt zu einem steinernen Tor, das in den Boden geglitten ist und
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