BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Herodes fragte nicht, er stellte fest.
Melchior schwieg mit feinem Lächeln.
»Erzählt mir mehr über diesen... Stern«, verlangte der König. »Was hat es auf sich mit diesem Licht am Himmel?«
»Nun, es erschien eines Nachts, als wir die Gestirne beobachteten. Heller strahlend als alle anderen, größer und – anders. Fast schien es, als sei der Himmel an dieser Stelle aufgerissen, um gleißendes Licht hindurch zu lassen.« Melchiors Blick wirkte entrückt, als sehe er nicht länger den Thronsaal des Herodes, sondern durch Wände und trotz des Tageslichts wieder jenes Leuchten, dem sie von Persien her nach Jerusalem gefolgt waren und das sie noch immer nicht erreicht hatten. Wohl aber waren sie ihm schon nähergekommen, und längst trugen sie es in ihren Herzen, denn es war nicht kalt wie das Licht der Sterne, sondern von solcher Wärme, dass sie alle den Wunsch hatten, es zu berühren...
»Es war mehr als nur Licht, diesen Eindruck hatte ich«, meldete sich nun auch Kaspar zu Wort. Der Ausdruck seiner Augen glich ganz dem Melchiors. Auch der jüngere Sternenkundige schien im Bann dessen, was er am Nachthimmel gesehen hatte. »Es war... wunderschön. Und es wäre sträflich, nicht erfahren zu wollen, was es uns zeigen will.«
»Das Licht?«, hakte der König nach. »Ihr meint, es steht als ein Zeichen für etwas?«, Unüberhörbar war nun der lauernde Ton in seiner Stimme.
Melchior öffnete den Mund zu einer Erwiderung, zugleich sandte er einen mahnenden Blick in Kaspars Richtung – doch zu spät! Der Jüngere kam ihm zuvor, und noch ehe Melchior ihm ins Wort fallen konnte, war schon heraus, was er selbst nicht so deutlich hatte sagen wollen.
»O ja, dieser Stern ist ein Zeichen«, erklärte Kaspar, und mit feierlichem Ernst, der Melchior frösteln ließ, fuhr er fort: »Es steht für den neuen König der Juden!«
König Herodes schwieg, und die Stille, die den Saal erfüllte, war bedrückend wie die Schwüle vor einem Unwetter, wenn dunkle Wolken vom Horizont her wogten.
Dieses Schweigen missverstand auch Kaspar nicht. Seinem Gesicht war deutlich abzulesen, dass er es bereute, so vorlaut gewesen zu sein. Dem Herrscher dieses Landes gegenüber von einem
neuen König
zu reden – welch eine Torheit!
»Nun«, begann er zögernd, »ich... wir...«
Diesmal fing er Melchiors Blick auf und verstand ihn richtig. Keinen Laut gab er mehr von sich. An seiner statt übernahm der Ältere wieder das Wort.
»Verzeiht meinem jungen Bruder, Herr«, bat Melchior versöhnlich. »Er ist unerfahren und hat den Zweck unserer Reise offensichtlich nicht ganz verstanden.« Er schluckte erleichtert, als er sah, dass Herodes sich entspannte – ein klein wenig zumindest...
»Wisset, dass unsere Priesterschaft in der Heimat als Bund von Gelehrten gilt, und in dieser Eigenschaft sind uns Schriften aus aller Herren Länder anvertraut. Eine unserer Aufgaben ist es, mögliche Verbindungen zu ziehen zwischen dem, was weise Männer einmal niedergeschrieben haben, und dem Stand der Sterne.«
»Wozu?«, fragte Herodes.
»Wir erkunden auf diese Weise, ob Vorhersagen gewisser Ereignisse möglich sind, oder ob andere eine Regelmäßigkeit in ihrem Auftreten zeigen. So ließe sich Ordnung ins Leben bringen und – was wichtiger ist – Vorsorge treffen, wenn Bedrohlichkeiten nahen, weil wir ihre Schatten zu deuten wüssten.«
»Das leuchtet mir ein«, meinte der König, und tatsächlich schien er interessiert an dieser Art des Weissagens. Dann aber umwölkte sich Herodes' Stirn von neuem und er fragte: »Was aber hat es mit der Geburt jenes Königs der Juden auf sich, von dem euer junger Freund eben sprach?«
Melchior wand sich innerlich. »Nun, tatsächlich kündet eine unserer Schriften von der Geburt eines Kindes, dem eine große Zukunft vorausgesagt wird, wenn am Nachthimmel ein taghelles Licht erstrahlt. Aber –«, er hob beschwichtigend die Hand, als er sah, dass Herodes etwas einwerfen wollte, »– es sind nur Worte. Nichts sonst.«
»Und nur diesem Ziel gilt eure Reise?«, Herodes klang zweifelnd. »Zu sehen, ob bloße Worte, die ein Narr geschrieben haben mag, der Wahrheit entsprechen?«
»Vielleicht«, meinte Melchior mit weisem Lächeln, »sind auch wir nur Narren.«
»Wer weiß«, murmelte der König versonnen. Dann zwang er ebenfalls ein Lächeln auf seine Züge. Es sollte einnehmend wirken, aber es machte seinen Mund nur zu einem weiteren Schatten in seinem altersfurchigen Gesicht.
»Es interessiert mich,
Weitere Kostenlose Bücher