Baltasar Senner 03 - Busspredigt
den »Großen Arber«, baute einen kleinen Damm und Rinnen um den Berg und drückte eine Mulde in die Spitze: der »Arbersee«.
Es war eine Leidenschaft aus seiner Kindheit, Mutters frisch gestampfter Kartoffelbrei lockte zum Bearbeiten, das war besser als Sandburgen bauen. Perfekt wurde alles erst durch die Soße. Er füllte den Arbersee mit der braunen Flüssigkeit, stach einen Gang zur Rinne wie ein Arbeiter im Bergwerk, der einen Schacht anlegte. Die Soße suchte sich ihren Weg, verteilte sich, sickerte in die Masse. Er stach einen Löffel ab, ließ ihn auf die Zunge gleiten … Da war sie wieder, seine Vergangenheit, der Duft der Küche, das Brutzeln von Fleisch und Zwiebeln, der Geschmack des Kindseins.
»Sie müssen die Roulade auch essen, sie wird sonst kalt.« Victoria setzte sich zu ihm. »Wäre schade drum. Soll ich noch Soße bringen?«
»Danke, es ist genug. Schmeckt wunderbar.« Baltasar leckte den Löffel ab. »Sie waren gar nicht bei der Beerdigung. Ich hab Sie vermisst.«
Auf ihrer Stirn hatte sich eine Falte gebildet, eine dünne Linie, die dem Gesicht einen besonderen Reiz gab, wie Baltasar fand.
»Der Tod meines Nachbarn beschäftigt mich immer noch«, sagte er. »Ich muss mir darüber Klarheit verschaffen. Wie haben Sie Anton erlebt? Kam er manchmal hierher?«
»Sie können’s nicht lassen, Herr Senner. Ihre Neugierde bringt Sie noch mal in Schwierigkeiten.« Sie lachte. In ihren Wangen hatten sich Grübchen gebildet. Baltasar musste sich zusammenreißen, nicht ständig hinzuschauen.
»Das hat Anton nicht verdient, einfach so auf einer Parkbank umgebracht zu werden. Zumindest will ich wissen, warum. Und der Mörder muss zur Rechenschaft gezogen werden.«
»Herrn Graf kannte ich nicht besonders gut«, sagte Victoria. »Ich traf ihn gelegentlich in Geschäften oder auf der Straße, wir grüßten einander, er war immer höflich, aber distanziert. Manchmal kehrte er mittags hier ein.«
»Hat er sich dann mit jemandem getroffen?«
Sie sah ihn nachdenklich an.
»Eigentlich kam er ganz selten, fast zu selten für einen Junggesellen. Ich frage mich, ob er regelmäßig gekocht hat oder eher so ein Tütensuppen- und Wurstbrot-Esser war.«
»Nun, jetzt, wo Sie es so sagen – gegessen habe ich mit ihm auch nie gemeinsam. Einmal habe ich ihn abends zu uns eingeladen, Teresa hatte etwas gekocht. Danach hat er Einladungen von mir immer ausgeschlagen. Ich dachte mir nichts weiter dabei. Ich war immer mal wieder bei ihm auf ein paar Gläschen Wein oder Bier mit Erdnüssen und Salzstangen.«
»Doch, seltene Male war Herr Graf in Begleitung da, wenn ich mich richtig erinnere. Er traf sich mit einem Mann. Wie der aussah, weiß ich allerdings nicht mehr. Aber es kam zu einer lauten Diskussion am Tisch.«
»Um was ging es?«
»Ich habe nicht weiter zugehört. Irgendwas Geschäftliches, glaube ich. Aber das ist schon Monate her.«
»Und sonst?«
»Mehrmals war er mit Bürgermeister Wohlrab zusammen hier, das war vor Kurzem, vielleicht vor zwei Wochen. Sie taten recht geheimnisvoll.«
»Der Bürgermeister? Interessant.«
»Sie wissen doch, Herr Wohlrab pflegt alle möglichen Beziehungen, vorausgesetzt, sie nutzen ihm.«
»Hat sich Anton nie mit Frauen verabredet?«
»Hm.« Victoria lehnte sich zurück und dachte nach. »Warten Sie mal, doch, an einem Abend … da war er zuerst allein da, er hatte nur etwas getrunken, ich weiß nicht mehr, was. Später kam eine Frau dazu, aber sie bestellte nichts. Die beiden sprachen kurz miteinander, dann zahlte er, und sie verließen gemeinsam mein Lokal.«
»Kannten Sie die Frau? War sie von hier?«
»Ich habe sie noch nie zuvor gesehen. Ich schätze, sie war Ende 30, Anfang 40, sie hatte schulterlanges Haar, insgesamt eine gepflegte Erscheinung.«
»Sah es so aus, als ob die beiden …«, Baltasar stockte, »… was … war er … waren sie miteinander liiert?«
»Jetzt wollen Sie’s aber genau wissen, oder? Also den Eindruck hatte ich nicht, da waren keine vertrauten Gesten, auch keine Berührung bei der Begrüßung. Aber das muss noch nichts heißen.«
*
Auf dem Nachhauseweg änderte Baltasar seine Pläne und entschied sich, statt die Sonntagspredigt vorzubereiten, seinen Freund Philipp Vallerot zu besuchen. Er brauchte Unterstützung von einem Spezialisten. Die Gang im Stadtpark von Zwiesel ging ihm nicht aus dem Kopf, auch der unbekannte Mann nicht. Hatte der etwas mit dem Mord zu tun? Die Zweifel ließen ihm keine Ruhe.
Philipp Vallerot war gerade
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