Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
glaubst du .«
Er wollte meine Wange streicheln, aber ich schob seine Hand weg.
»Du solltest mich hassen, Nuria. Das würde dir Glück bringen.«
»Ich weiß.«
Wir verbrachten den Tag draußen, fern der beklemmenden Dunkelheit in der Wohnung, die noch nach lauwarmen Laken und Haut roch. Julián wollte das Meer sehen. Ich ging mit ihm in die Barceloneta und dann an den fast menschenleeren Strand, der in der Ferne mit dem Dunst verschmolz. Wir setzten uns in den Sand, dicht ans Wasser, wie die Kinder und die Alten. Julián lächelte schweigend, in seinen Erinnerungen versunken.
Als es dämmerte, nahmen wir beim Aquarium die Straßenbahn und fuhren durch die Vía Layetana zum Paseo de Gracia hinauf, dann zur Plaza de Lesseps und schließlich durch die Avenida de la República Argentina bis zur Endhaltestelle. Julián schaute sich still die Straßen an, als fürchte er, die Stadt zu verlieren, während er sie durchquerte. Auf halbem Weg nahm er meine Hand und küßte sie, ohne etwas zu sagen. Er hielt sie fest, bis wir ausstiegen. Ein alter Mann in Begleitung eines Mädchens in Weiß schaute uns lächelnd an und fragte, ob wir verlobt seien. Es war schon dunkle Nacht, als wir durch die Calle Román Macaya auf das Aldaya-Haus in der Avenida del Tibidabo zugingen. Feiner Regen tünchte die Hauswände silbern. Im hinteren Teil des Grundstücks, bei den Tennisplätzen, kletterten wir über die Mauer. Ich erkannte das im Regen aufragende Haus sogleich, dessen Erscheinung ich auf Juliáns Seiten in tausend Verkörperungen und aus tausend Blickwinkeln gelesen hatte. In Das rote Haus erschien der kleine Palast als düsterer Kasten, innen größer als außen, der langsam seine Gestalt änderte, sich in unmögliche Gänge, Galerien und Dachgeschosse, in unendliche Treppen auswuchs, die nirgends hinführten, und dunkle Räume aufblitzen ließ, welche auftauchten und über Nacht wieder verschwanden und mit ihnen die Leichtsinnigen, die sich hineinwagten, um nie wiedergesehen zu werden. Wir blieben vor der mit Ketten und einem faustgroßen Vorhängeschloß gesicherten Eingangstür stehen. Die hohen Fenster im ersten Stock waren mit starken, efeuüberwucherten Brettern verrammelt. Die Luft roch nach vermodertem Unkraut und feuchter Erde. Der Stein, dunkel und schleimig im Regen, glänzte wie die Haut eines Reptils.
Ich wollte ihn schon fragen, wie er durch diese Eichentür einzudringen gedenke, die an eine Basilika oder ein Gefängnis erinnerte, als er ein Fläschchen aus dem Mantel zog und den Deckel abschraubte. Ein übelriechender Dampf stieg in einer langsamen, bläulichen Spirale auf. Er hielt das Schloß am einen Ende fest und goß die Säure ins Schlüsselloch. In eine gelbliche Rauchwolke gehüllt, zischte das Metall wie glühendes Eisen. Nach einigen Sekunden nahm er einen Pflasterstein aus dem Unkraut und zerschlug das Schloß mit einigen harten Schlägen. Dann stieß er die Tür mit einem Fußtritt auf. Sie öffnete sich langsam, und feuchte Luft strömte heraus. Jenseits der Schwelle lauerte Dunkelheit. Julián zog ein Benzinfeuerzeug aus der Tasche und knipste es an, nachdem er einige Schritte in die Vorhalle hinein getan hatte. Ich folgte ihm und lehnte die Tür hinter uns an. Die Flamme über seinen Kopf haltend, ging Julián ein paar Meter weiter. Zu unseren Füßen lag ein Staubteppich, der nur unsere eigenen Spuren zeigte. Die nackten Wände verfärbten sich im Licht der Flamme wie Bernstein. Es gab weder Möbel noch Spiegel oder Lampen. Die Türen hingen noch in ihren Angeln, aber die Bronzeklinken waren abgerissen. Das alte Haus offenbarte nichts mehr als sein blankes Skelett. Am Fuß der breiten Treppe blieben wir stehen. Juliáns Blick verlor sich hinauf. Er wandte sich einen Augenblick um und schaute mich an, und ich wollte lächeln, aber im Halbdunkel errieten wir kaum unsere Blicke. Dann folgte ich ihm die Treppe hinauf, über die Stufen, auf denen er Penélope zum ersten Mal gesehen hatte. Ich wußte, wohin uns der Weg führte, und es packte mich eine Kälte, die nichts von der feuchten, ätzenden Luft dieses Hauses hatte.
Wir stiegen in den dritten Stock hinauf, wo ein schmaler Gang zum Südflügel des Hauses führte. Hier war die Decke sehr viel niedriger und die Türen kleiner. Es war die Etage der ehemaligen Dienstbotenzimmer. Das letzte, das wußte ich, ohne daß Julián etwas zu sagen brauchte, war das von Jacinta Coronado gewesen. Er ging zaghaft, ängstlich auf es zu. Das war der letzte Ort gewesen,
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