Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
Ein schwacher Schatten quer über der Front zeigte, wo einst ein Schild angebracht gewesen sein musste, das jetzt fehlte. Eine graue Maus, an der man vorbeifuhr, ohne eine noch so kleine Erinnerung im Hirn abzulegen, die später ein Wiedererkennen auszulösen vermochte. Etwa an die Kameras, die an den Ecken des Gebäudes wie die Augen von Zyklopen hingen und alles aufnahmen, was sich im Eingangsbereich abspielte. Er hatte sich die Technik mit dem Fernglas angeschaut, konnte aber nicht sagen, ob eine permanente Überwachung stattfand oder lediglich aufgenommen und gesichert wurde.
Schneider & Jost wurde nicht mehr von den Namensgebern geführt, sondern von einem Hans-Peter Ressler, so viel hatte er dem Handelsregisterauszug entnehmen können. Spezialisiert auf Im- und Export von Lebensmitteln aus ökologischem Landbau. Die GmbH selbst wiederum hatte zwei Gesellschafter, ebenfalls GmbHs, die eine in Dresden, die andere in Rostock. Wer genau dahinter stand, war nicht sofort zu erkennen. Noch am Morgen hatte er einen Redaktionsassistenten auf die Recherche angesetzt.
Aus seinem Bein verlor sich das Fremdkörpergefühl, und er wickelte sich enger in den Parka. Müdigkeit sickerte in seine Glieder, er döste weg. Als ein Laster die Straße entlangschnaufte und vor dem Tor hielt, schreckte Brünjes hoch. Die vergangenen drei Stunden waren träge dahingetröpfelt. Anfangs hatten die Arbeiter einige Transporter beladen, die kurz darauf das Gelände verlassen hatten, seitdem jedoch tat sich kaum mehr etwas. Er zückte die Nikon mit langem Teleobjektiv. Er liebte das Teil wegen seiner Brennweite und der Eigenschaft, auch bei schlechtem Licht gestochen scharfe Bilder zu machen. Er schoss gleich eine ganze Serie Fotos, die die Kamera surrend speicherte. Die Zugmaschine des ankommenden Lkws hatte eine tschechische Nummer, der Auflieger war in Bulgarien zugelassen und sah runtergekommen aus. Das Kühlaggregat lief lärmend und verlor sicher nicht erst seit gestern eine ätzende Flüssigkeit, die unterhalb des Aggregats den einstmals weißen Lack zu Blasen aufgeworfen und braun verfärbt hatte.
Brünjes warf die Nikon auf den Rücksitz, griff seinen Rucksack und sprang aus dem Auto, während sich drüben das automatische Tor ratternd öffnete. Er musste sich beeilen und ließ den Mietwagen unverschlossen, denn schon fuhr der Laster langsam wieder an, wobei er eine grotesk-schwarze Rußwolke ausstieß. Vom Fahrer war durch die abgedunkelten Scheiben kaum etwas zu erkennen, bestimmt konzentrierte er sich darauf, das Tor nicht zu streifen. Wie unbeteiligt überquerte er die Straße und folgte dem Bürgersteig die wenigen Meter bis zum Eingang. Die erhoffte Gelegenheit kam in dem Moment, als der Lastwagen das Tor so weit passiert hatte, dass er eine genügend große Lücke freigab, die Brünjes nutzen konnte, um unbeobachtet von aller Technik auf den Hof zu gelangen. Er hatte sich Jeans, Arbeitsschuhe und Basecap angezogen und legte nun wie selbstverständlich die Hand auf die raue Außenhülle des Aufliegers, gerade so, als gehörte er genau hierher, während er so unbemerkt bis zur Halle gelangte.
Flüchtig hob er den Kopf und sah, dass man an den Seiten auf eine Überwachung verzichtet hatte, wohl im Vertrauen auf den hohen, mit Stacheldraht gekrönten Zaun, der das gesamte Areal umlief. Viel Aufwand für einen einfachen Lebensmittelimporteur, wie er fand. Das Kreischen der Bremsen riss ihn aus seinen Betrachtungen. Nur noch wenige Sekunden und das Ungetüm würde rückwärts an eine der Ladebuchten rollen und ihn seines Schutzes berauben. Brünjes schaute sich schnell um, von der Rampe her hatte er Stimmen gehört und das Geklapper von Transportkarren. Schweiß brach ihm aus. Ihm blieb nur eine Chance, nicht sofort entdeckt zu werden. Zügig ging er vor zur Zugmaschine, nickte dem etwas verwundert dreinschauenden Fahrer zu und begann ihn mit ausladenden Gesten einzuweisen. Der schenkte ihm jedoch kaum Beachtung und zog es vor, mithilfe seiner Spiegel zurückzusetzen, doch Brünjes hatte ein paar Sekunden gewonnen. Links in der Wand befand sich eine Tür, und er betete zu Gott um ein offenes Schloss, als er mit zwei großen Schritten drüben war und den Türgriff drückte.
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Die Ölmühle erfüllte keine der Erwartungen, die Sophie Erdmann an eine Biomühle gestellt hätte. Sie hatte mit einem schmucken historischen Gebäude gerechnet, in dem der Verkauf von gestylten Flaschen direkt neben der Produktion stattfand. Die
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