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BE (German Edition)

BE (German Edition)

Titel: BE (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Eichinger
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den Fassbinder geschrieben hatte. Aber Bernd ist darüber total ausgerastet. Das kannst du dir gar nicht vorstellen. So hatte ich Bernd zuvor überhaupt noch nicht erlebt. Er hat vor Wut wirklich Tränen geheult und sein Bierglas in die Ecke gefeuert. Gut, dass der Sigi an dem Abend nicht in der Kneipe war. Bernd hätte ihn glatt allegemacht.
     
    Als Fassbinder 1982 starb, war Bernd, so erzählte er mir, eine Woche lang tief deprimiert. Jetzt liegen sie beide auf dem Bogenhausener Friedhof begraben. Ihre Gräber sind nur einige Meter voneinander entfernt.
    Die politische Studentenszene Münchens – auch wenn Berlin im nachhinein als die politische Hochburg der Studentenbewegung und der radikalen Linken galt, darf man nicht vergessen, dass viele RAF-Mitglieder einschließlich Andreas Baader aus München stammten – hatte Anfang der Siebziger ihr Zentrum in der Nordendstraße. Mit dieser Szene hatten Bernd und die meisten seiner HFF-Kommilitonen jedoch nicht viel zu tun. Film und Filmemachen beherrschten, wie gesagt, den Lebensinhalt. Und dennoch steckte Bernd mitten im Zeitgeist der siebziger Jahre. Bernd war nämlich gemeinsam mit seiner Freundin in die Wohngemeinschaft von Sepp Wimmer gezogen, wo es darum ging, »frei zu leben und die bürgerlichen Strukturen aufzulösen«. Wimmer, der zunächst Germanistik studierte und dann aufgrund von Problemen in seiner Dreierbeziehung in eine Paartherapie (also eigentlich eine Dreiertherapie) ging und einige Jahre später zu Bernds großer Verwunderung vorübergehend katholischer Priester wurde, erklärte mir: »Damals, Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger zu studieren, bedeutete marxistisch orientiert zu sein. Aber wir waren weniger an der politischen als an der kulturellen Revolution interessiert. Wir haben Feste gefeiert und die freie Liebe praktiziert.« Bernd hat sehr gerne in dieser Wohngemeinschaft gewohnt. Die Hippieutopie von einer zusammengewürfelten Quasifamilie, wo das Individuum und die Gemeinschaft im Einklang leben, hat er nie aufgegeben und letztendlich am Filmset real gelebt.
    Ein Punkt, der Bernd und mich verbunden hat, war der, dass wir beide sehr gerne in einer Wohngemeinschaft gewohnt haben und diese Lebensform uns mehr zusagt als die traditionelle Nuklearfamilie. Bevor ich Bernd kennenlernte, habe ich viele Jahre in einer Kommune namens »Heartbreak Hotel« im Londoner Stadtviertel Camden Town gewohnt. Manche Freunde haben mich gefragt, wie sehr sich mein Leben doch verändert haben musste, als ich Bernd kennenlernte und mit ihm zusammenzog. Aber das war überhaupt nicht so. Das Heartbreak Hotel war von meinem Leben mit Bernd vom Grundgefühl her nur insofern anders, als dass ich meine Liebe gefunden hatte und es nun eine zentrale Bezugsperson in meinem Leben gab. Ich habe schon vor Bernd keine Hemden gebügelt und mit meiner Beziehung zu Bernd hat sich das nicht geändert. Ansonsten gab es sowohl im Heartbreak Hotel als auch im Leben mit Bernd eine riesige, mehr oder minder lose miteinander verbundene Gemeinschaft, alle mit den üblichen Neurosen, Egoproblemen und Talenten und charmanten Seiten – und am besten man konzentriert sich auf die Letzteren und ignoriert die Ersteren. Das war auch Bernds Herangehensweise, und genau wie ich mochte er keine Regeln oder spießige Eifersuchtsanfälle oder kleinliche Erbsenzählerei, sondern sah Respekt, Großzügigkeit und Wohlwollen als die besten Grundlagen des Zusammenlebens. Was die Ablehnung von Regeln anbelangte, stieß er innerhalb seiner Wohngemeinschaft allerdings auf Widerstand. Bernd hatte nämlich keine Lust, sich dem Putzplan unterzuordnen und die Reinigung der gemeinschaftlichen Toilette zu übernehmen. Sein Vorschlag, eine Putzfrau einzustellen, wurde als »bürgerlich reaktionär« abgelehnt, und Bernd blieb nichts anderes übrig, als die Klobürste in die Hand zu nehmen. Eine Tatsache, die Bernd noch Jahrzehnte später aufregte.
    Rolfing, eine extreme Form der Physiotherapie aus den Fünfzigern, die körperliche und psychische Blockaden abbauen soll, war laut Bernd ein großes Thema in der Wohngemeinschaft. Nachdem man lange genug über Rolfing und die Vorzüge dieser Wundermethode diskutiert hatte, zog schließlich einer der Mitbewohner aus, um sich »rolfen« zu lassen, erzählte mir Bernd. Große Aufregung herrschte, wenn ein teures Ferngespräch mit dem Rolfing-Abenteurer geführt wurde, der über seine Erfahrungen berichtete. In Sachen Hippietum eigentlich nur zu toppen von einem

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