Behandlungsfehler
geblieben wäre. Auch die Enge im Darm hätte es nicht gegeben, sie wäre nicht aufgetreten. Es wäre ja keine Ringsumnaht nötig geworden, weil ja auch kein Stück des Darmrohrs entfernt worden wäre. Statt eines solchen kleinen Eingriffs war bei ihm eine Krebsoperation durchgeführt worden. Aber auch mit diesem Gutachten haben wir keine außergerichtliche Einigung erzielen können.
Wir erhoben Klage. Nach dem üblichen Austausch der Argumente gab es einen Beweisbeschluss und ein Sachverständiger sollte mit der Begutachtung beauftragt werden.
Es dauerte einige Monate bis sein Gutachten vorlag. Es war klar und sprach für uns. »Aufgrund der transparenten, in sich geschlossenen Ausführungen des Sachverständigen ist die Klage zulässig und begründet«, schrieb ich daraufhin. »Dem Kläger stehen die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu. Zusammenfassend kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass keine Indikation zu der von der Beklagten durchgeführten Operation vorlag, mangels Indikation stellt sich diese Operation als vermeidbar behandlungsfehlerhaft dar.« Das Gericht gab der Klage am Ende dem Grunde nach statt. Auf die nicht ordnungsgemäße Aufklärung, mangels Nennung einer Behandlungsalternative, brauchten wir nicht eingehen. Wir mussten nicht erklären und beweisen, dass Herr Schröder in den durchgeführten Eingriff nicht eingewilligt hätte, sodass dieser insgesamt rechtswidrig war und eine Haftung für sämtliche Folgen begründet.
Die Höhe des Schmerzensgeldes ist immer eine Frage des Einzelfalls. Es gibt Tabellen, die Urteile aus der Vergangenheit erfassen. An diesen Tabellen können wir uns orientieren. Aber sie sind nur Anhaltspunkte. Die Urteile liegen oft schon lange zurück. Und jeder Fall ist anders, wir können den Schaden nicht isoliert sehen, sondern müssen auch die Lebensumstände des Geschädigten berücksichtigen. Hinzu kommt, dass die Tabellen nur Urteile erfassen und nicht Fälle, bei denen die Parteien außergerichtlich einen Vergleich geschlossen haben. Manchmal kann ich einen Schmerzensgeldanspruch geltend machen, der deutlich über dem Wert in der Tabelle liegt. Ich muss ihn natürlich gut begründen. In diesem Fall war die beantragte Summe ziemlich hoch, die das Gericht aber im Ergebnis doch für angemessen erachtete.
An dem Zustand von Herrn Schröder wird das nichts ändern. Der ließe sich nur durch eine weitere Operation verbessern. Vielleicht. Aber auch die könnte schiefgehen, denn das Gewebe ist vernarbt und entzündungsbedingt verwachsen. Herr Schröder hat wahnsinnige Angst davor, sich noch einmal unters Messer zu begeben und dabei zu sterben.
Einmal hatte Herr Schröder seinen Arzt zur Rede gestellt. Er wollte nur eine Entschuldigung, mehr nicht. Das war bei einem Symposium. Als der Arzt dort einen Vortrag hielt, sprach Herr Schröder ihn anschließend an. Er könne nicht mehr reisen, sagte er unter anderem. Auch wenn er verreist, müsse er ständig auf die Toilette. Und das nicht irgendwann, sondern sofort. Im Flugzeug, auf der Straße, im Tauchanzug. Überall, immer und jetzt. Seine Botschaft an den Arzt: »Hallo, Du hast alles zerstört, wofür ich lebe.« Wenn er doch nur geahnt hätte, dass es ein weniger drastisches Verfahren gibt – natürlich hätte er es dann gewählt. »Warum hast Du mir das nicht gesagt?«
Es geht nicht ums Geld, darum ging es bei Herrn Schröder nie. Herr Schröder ist kein reicher Mann, aber als Ingenieur hat er genug verdient, um sich sein Leben leisten zu können. Es geht ihm um Gerechtigkeit. Darum, dass anerkannt wird, dass hier etwas falsch gemacht wurde. Schmerzensgeld und Schadensersatz wird er zum großen Teil spenden. Es soll helfen, eine Krankenstation in einem Dorf in Burkina Faso zu finanzieren. Auf seinen Reisen nach Westafrika war Herr Schröder fasziniert von dem Land und den Menschen. Der Fehler in der Hightechmedizin, der ihm das Leben ruiniert hat, soll noch zu irgendetwas gut sein: Er soll dazu beitragen, in diesem Dorf die medizinische Grundversorgung zu sichern und im Idealfall, Menschenleben zu retten.
Aufklärung
Wie oft habe ich das schon gehört: Keiner hat mit mir gesprochen. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich doch niemals Ja gesagt.
Die Aufklärung gewinnt immer und vor allem dann an Bedeutung, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, also die Dinge anders gelaufen sind, als erwartet. Dieses Kapitel soll helfen zu verstehen, warum der Arzt mit dem Patienten reden muss,
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