Bélas Sünden
sich das verdient, also nicht schimpfen. Vierzehn Tage an einem Stück haben wir gebüffelt, keine freie Minute hat sie uns gegönnt.«
Die Stimme klang träge, als schliefe das Mädchen im Stehen. Ich fühlte, wie mein Herzschlag sich beschleunigte. Es rieselte immer noch von oben nach unten, aber die Flut ließ bereits nach. Was immer das Mädchen mir erzählte, das Tuch in meinem Eimer sprach dagegen. Es musste nicht unbedingt am Donnerstag benutzt worden sein. Es kamen auch der Montag, der Dienstag und der Mittwoch in Frage. Vierzehn Tage an einem Stück gebüffelt? »An einem Stück wohl kaum«, sagte ich.»Sonja war doch Anfang der Woche zu Hause, und…«
»Wann soll denn das gewesen sein?«
»Ich weiß nicht, ich war nicht da. Aber mein Mann sagte…«
»Nee«, unterbrach sie mich, nuschelte mir mit träger Stimme vor:»Wir waren in den letzten beiden Wochen jeden Morgen an der Uni und haben jeden Nachmittag zusammengesessen bis elf oder zwölf in der Nacht. Hat sich gelohnt, wir sind alle durchgekommen. Ohne Sonja wären bestimmt ein paar von uns durchgerasselt. Sie ist ein erstklassiger Sklaventreiber. Hat sie das von Ihnen? Ich ruf sie jetzt mal. Ich muss wieder ins Bett.«
Vierzehn Tage an einem Stück, dachte ich. Das war doch eine abgesprochene Sache.»Wenn meine Mutter anruft, erzähl ihr.«
Aber die Erleichterung rieselte weiter, um meine Füße musste sich bereits eine Pfütze gebildet haben. Am Donnerstagabend war sie bestimmt nicht in unserer Wohnung gewesen. Sie hatte mit Freunden die erstklassigen Prüfungsergebnisse gefeiert. Ihre Ergebnisse waren immer erstklassig. Die Polizei konnte das nachprüfen. Meine Tochter hatte ein Alibi für die Mordzeit. Mein Mann ebenfalls. Er war nach einem Anruf meines Liebhabers zu seinem Freund geflohen. Den Rest konnten wir unter uns ausmachen, irgendwann – wenn ich mutig genug war. Dann hatte ich ihre Stimme im Ohr, nicht viel munterer als die des Mädchens. Aber das änderte sich rasch.»Mama? Du rufst zu einer denkbar ungünstigen Zeit an. Können wir das auf den Nachmittag verschieben? Oder besser auf den Abend, ich ruf dich zurück, wenn ich wieder denken kann. Im Moment habe ich einen Kopf wie…«
»Wir können nichts verschieben«, unterbrach ich sie.»Mach dir einen starken Kaffee, lass die Finger von deinem Auto, ruf dir ein Taxi und komm nach Hause. Heinz ist tot.«
»Was?«
Es klang, als sei auch sie völlig ahnungslos.»Sag das nochmal! Hat er sich doch noch den Hals gebrochen mit seiner verdammten Maschine. Die arme Meta…«
»Hat er nicht«, unterbrach ich sie noch einmal.»Er wurde erschossen.«
»Was?«
Jetzt schien sie völlig fassungslos. Und auch ein eiskaltes Biest, dachte ich, kann sich nicht so verstellen. Es polterte ein wenig. Das mussten die letzten Steine sein, die mir vom Herzen fielen.»Kommst du nach Hause? Wir müssen reden, wir beide.«
Immer noch fassungslos und ein bisschen kleinlaut sagte sie:»Ja, natürlich, Mama. Ich komme sofort.«
Ich hatte den Hörer noch nicht ganz aufgelegt, als ich den Schlüssel in der Tür hörte. Es war Meta. In ihrem alten grauen Wollmantel, darunter trug sie einen Arbeitskittel. An ihrem Arm hing die braune Tasche, mit der sie seit Jahr und Tag Einkäufe machte. Dicht hinter ihr kam Marion in die Diele.»Ich bin spät dran«, sagte Meta.»Aber ich dachte, dass unten nichts zu tun ist. War ja geschlossen gestern. Willst du heute auch nicht aufmachen?«
Ich schüttelte den Kopf. Meta lächelte dünn und ein wenig abfällig, wie mir schien.»Béla ist wohl noch nicht da, was?«
Ich erzählte ihr, dass Béla in der Nacht angerufen und aufgelegt hatte, als ich ihm sagte, was geschehen war.»Es hat ihn ziemlich getroffen.«
Meta nickte, lächelte weiter ihr dünnes, abfälliges Lächeln.»Kann ich mir denken.«
Dann fragte sie:»Soll ich zuerst noch was einkaufen? Du brauchst doch sicher was fürs Wochenende. Marion kann schon mal anfangen zu putzen.«
Ich konnte ihr nicht sofort antworten, konnte nicht einmal den Kopf schütteln. Was fiel ihr denn ein, hier aufzutauchen, auch noch Marion mitzubringen, als sei überhaupt nichts gewesen? Aber den Kopf muss ich wohl geschüttelt haben. Meta sagte lakonisch:»Du musst es ja wissen. Wenn dir noch was einfällt, der Extra-Markt hat bis vier auf.«
Dann schaute sie sich um, langsam und bedächtig, als ob sie sich etwas Besonderes einprägen müsse, fast genüsslich, aber vielleicht kam mir das nur so vor. Marion stand neben ihr, hielt
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