Bélas Sünden
werden. Wir waren aufeinander angewiesen, einmal in geschäftlicher Hinsicht. Dann war da die private Seite. Er fehlte mir bereits nach einer Woche so sehr, dass ich nachts manchmal glaubte, verrückt zu werden. Als die zweite Woche zu Ende ging, konnte ich mir schon nicht mehr erklären, dass ich mich über ein paar Kleinigkeiten aufgeregt hatte. Gut, das Haus war alt und fürchterlich, die Wohnung nur ein besseres Rattenloch in Sibirien. Aber so viel Zeit verbrachten wir nicht darin. Die paar Stunden Schlaf. Und in den Nächten war Béla besser als jeder Radiator. Komisch, er hatte nie kalte Füße. Und er hatte sich nie beschwert, wenn ich ihm meine zwischen die Schenkel schob. Dass ich unter der Dusche jedes Mal ein Drama aufführte, nahm er mit Humor. Jetzt war niemand da, der mir den Bademantel bereithielt. Es war auch niemand da, der mich nachts in den Arm nahm.
»Schlaf weiter, Liska, du wirst denken, du träumst nur.«
War mir das wirklich manchmal zu viel gewesen? Ich konnte es mir kaum noch vorstellen. Da stellte ich mir lieber vor, wie er zur Tür hereinkam, was er sagte. Ob er sich diesmal entschuldigte. Ob er mir erklärte, wo er gewesen war. Ob er mich um Verzeihung bat. Ich stellte es mir einen ganzen Abend vor, während ich mich hinter dem Tresen langweilte und drei Männer davor. In der Nacht schrieb ich noch ein bisschen. Den Anfang der Geschichte zweier Hitzköpfe, die beide nicht um einen Deut nachgeben konnten, bei denen es ständig polterte und krachte, bis sie sich nach langen Kämpfen endlich zusammengerauft hatten. In den folgenden Nächten schrieb ich weiter, im dicken Pullover, zwei Paar Socken an den Füßen, mit klammen Fingern. Sonja schlief im Nebenzimmer. Ich hätte den zweiten Radiator aufstellen können, ausnahmsweise lief der Geschirrspüler nicht. Seit nicht mehr so viel zu tun war, lief er nur noch jeden zweiten Tag. Doch darüber dachte ich nicht nach. Vielleicht wurde die Geschichte nur deshalb so gut, weil ich so entsetzlich fror. Ich schickte sie ab. Und schon zwei Tage später rief mich die zuständige Redakteurin an. Es war eins von den kleinen Wundern, die einem neuen Auftrieb geben. Die Redakteurin freute sich tatsächlich.
»Ich dachte schon, dass ich von Ihnen gar nichts mehr höre. Sind Sie umgezogen?«
Es war mir nicht aufgefallen, dass Annette von und zu in der arktischen Kälte aus Versehen ihre eigene Anschrift samt Telefonnummer auf den Briefkopf gesetzt hatte. Aber umgezogen war ich ja tatsächlich.
»Dann waren Sie wohl zu beschäftigt «, meinte die Redakteurin.
»Freut mich, dass Sie jetzt wieder Zeit haben.«
Da drang ein glockenhelles Lachen aus dem Hörer.
»Ich habe die Geschichte dreimal gelesen, sie ist phantastisch. Haben Sie noch nie daran gedacht, etwas anderes zu schreiben?«
»Ich habe eine Menge anderes hier liegen «, sagte ich.
»Ich weiß nur nicht, wohin damit.«
»Wenn ich es mir einmal ansehen dürfte. Vielleicht kann ich Ihnen einen guten Tipp geben. Ich kenne ja auch ein paar Leute aus dem Literaturbetrieb.«
So kam es, dass ich morgens auf der Post war, während Béla unser gemeinsames Reich betrat und erst einmal vorsichtig Ausschau nach dem Drachen hielt. Die Redakteurin hatte mich kurz nach fünf am vorherigen Nachmittag angerufen. Da stand ich schon hinter dem Tresen und konnte nicht auf der Stelle etwas unternehmen. Ich hatte natürlich noch in der Nacht mein Privatmanuskript zusammengerafft, ordentlich abgeheftet und versandfertig gemacht. Als ich von der Post zurückkam, war ich ziemlich guter Laune. Immerhin stand mir ein schönes Honorar für die Kurzgeschichte in Aussicht. Die halbe Nacht hatte ich mir vorgestellt, dass ich mir an den langweiligen Abenden eine Menge in dieser Art ausdenken könnte. Im Kopf vorformulieren, dann eine Stunde Sibirien. Man kann auch mit klammen Fingern schnell tippen, wenn der Kopf voll genug ist und es einen davor graust, allein im kalten Bett zu liegen. Und wo mich die Redakteurin jetzt schon persönlich angerufen hatte, wer weiß, mit ein bisschen Glück, vielleicht wurde ich öfter als hin und wieder eine Geschichte los. Vielleicht sogar einmal im Monat, und wir wären gerettet. Du kannst deiner Freundin sagen, dass ihre Eltern nun doch zwei Doppelzimmer buchen können, mein Schatz, dachte ich, als ich den Flur betrat. Du fliegst nach Gran Canaria, Mutti bringt das Geld zusammen. Und gar nicht mehr so lange, dann kann Mutti auch einen Mann engagieren, der sie abends hinter dem Tresen
Weitere Kostenlose Bücher