Bélas Sünden
Seine Skrupel kann ich ihm ausreden!«
Ich wollte das zuerst nicht glauben, alles in mir wehrte sich dagegen. Vielleicht hat die Natur im Innern eine Barrikade errichtet und mit Fotos beklebt. Das süße Baby, das niedliche kleine Mädchen im Kindergarten, das eifrige Schulkind mit seinen Büchern und Heften. Und das elfjährige Persönchen, das in Spitzenkleid und Lackschuhen Muttis Freund begutachtet. Wenn dazwischen ein anderes Bild auftaucht, die Siebzehnjährige, die mit blankem Busen ins Wohnzimmer schwebt, schaut man schnell weg. Aber Marions Wink mit dem Zaunpfahl konnte ich nicht ignorieren. Es war grausam. Die eigene Tochter. Vielleicht war es
zuerst nur ein Test für sie, den Unterschied kennen lernen. Wo sie doch mit ihrem ersten Versuch so trübe Erfahrungen gemacht hatte und ich immer schwärmte. Und dann musste es ihr ähnlich ergangen sein wie mir. Sie kam nicht los von ihm. Und sie wusste immer genau, wann ich nicht daheim war. »
Wann gehst du denn wieder auf Tournee, Mama?«
Wir telefonierten oft miteinander.
9. Kapitel
Nach dem kurzen Anruf bei Andreas ging ich nicht zurück ins Wohnzimmer, wo Meta und Offermann darüber verhandelten, ob man drei Kinder mitten in der Nacht mit der Kriminalpolizei und der Nachricht vom Tod des Vater konfrontieren durfte. Ich wollte auch noch bei Sonja anrufen, aber ich schaffte es nicht. Béla war jetzt bei ihr, dafür hätte ich meine Hand ins Feuer gelegt. Doch mich davon zu überzeugen, war eine andere Sache. Und mir dann eine harmlose Erklärung anhören zu müssen. Es war doch völlig harmlos, wenn ein Mann, der seine Frau spät in der Nacht vom Bahnhof abholen wollte, vorher noch einen kurzen Abstecher zur Stieftochter machte. Nur mal sehen, wie es ihr geht, mal hören, was das Studium macht und ob das Geld diesen Monat reicht. Es reichte nie. Neben dem Telefonregal lag die Tür zu Marions Zimmer. Und wenn sie in unsere Wohnung geplatzt war, vielleicht nicht einmal aus Versehen. Ich nahm an, dass sie schon seit geraumer Zeit gewusst hatte, was zwischen meiner Tochter und meinem Mann vorging. Warum hätte sie mir sonst von einem Mädchen erzählen sollen, das sie gut kannte, das ein Verhältnis mit dem Stiefvater hatte und es genoss? Ich klopfte nicht an, um Offermann, der mit bewundernswerter Geduld seinen Standpunkt vertrat und Meta von der Wichtigkeit seines Anliegens zu überzeugen versuchte, kein Alarmsignal zu geben. Ich öffnete die Tür, trat ein. Marion lag ausgestreckt auf ihrem Bett, die Arme unter dem Nacken verschränkt. Zwischen ihrem Sweatshirt und dem Slip klaffte ein breiter Streifen nackter Haut. Nicht nur ihr Gesicht war zerschlagen, auch auf den Hüften und dem flachen Leib gab es frische Spuren. Meta hatte sie übel zugerichtet. Es sah fast aus, als wäre sie mit derben Schuhen auf ihr herumgetrampelt. Geschlafen hatte Marion vermutlich auch vor unserem Eintreffen nicht, das Bett sah nicht danach aus. Vielleicht hatte sie so gelegen wie jetzt, oder das Gesicht ins Kissen gedrückt, sich den Ärger mit Meta von der Seele geweint und darauf gewartet, dass Heinz heimkam, um sie zu trösten. Als ich die Tür hinter mir schloss, richtete sie sich auf und hockte sich im Schneidersitz hin. Neben dem Bett brannte eine kleine Lampe an der Wand. Das Licht fiel ihr seitlich aufs Gesicht. Es war starr wie eine Gipsmaske, auch so weiß, oder eher grau, nur die Schwellung auf ihrer Wange leuchtete förmlich.»Was ist mit Papa?«, hauchte Marion, während ich überlegte, ob ich mich auf die kleine Schlafcouch setzen sollte, die ihrem Bett gegenüberstand, auf der Sonja unzählige Nächte verbracht hatte. Hundertprozentig sicher war ich nicht auf meinen Beinen. Trotzdem zog ich es vor, am Fußende des Bettes stehen zu bleiben.»Er ist tot, Marion.«
Sie schüttelte den Kopf, zuerst energisch, dann mechanisch.»Marion, du warst doch um sieben bei uns…«
Weiter kam ich nicht. Sie riss die Augen auf, stellte das Kopfschütteln ein.
»Ich war im Kino.«
»Das weiß ich, Marion. Aber vorher hast du noch die Sachen aus der Reinigung zu uns gebracht.«
Sie nickte kurz.»Ich war aber nicht lange da, nur ein paar Minuten.«
Sie fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar, betastete eine Stelle auf der Kopfhaut, verzog kurz das Gesicht wie unter Schmerzen. Die Augen immer noch so weit aufgerissen, schluckte sie heftig.»Ist er wirklich tot, Lisa? Das kann doch nicht sein. Sag, dass es nicht stimmt!«
»Doch, ich habe ihn selbst gesehen.«
Sie
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