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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Führungstrio, das bis zum altersbedingten Ausscheiden Herrn Büntings ausgezeichnet funktionierte.«
    Altersbedingt? Das konnte ich so nicht stehen lassen, nicht einmal als Redakteur der Neckar-Nachrichten .
    »Dabei heißt es doch«, sagte ich, »dass sein Rückzug aus der Firma nicht unbedingt freiwillig erfolgte.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Na ja, Sie wissen schon, sein Ausstieg 1997, so ganz ohne Reibungen lief der ja nicht ab.«
    »Reibungen?« Er sah mich misstrauisch an. Ich lächelte unschuldig. Knöterich wechselte die Stellung seiner übereinandergeschlagenen Beine, nahm, da ich nicht antwortete, seine Brille ab und begann sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel zu massieren. »Reibungen?« wiederholte er.
    »Ja, oder? Wissen Sie, ich hatte keine Zeit für intensive Recherchen in unserem Archiv, aber so ein paar Artikel aus den 90ern habe ich mir schon angeschaut. Und das Thema damals ...«
    »Die Kartellgeschichte«, sagte er fast ein wenig scharf und fixierte mich aus kurzsichtigen Augen. »Sie meinen diese Kartellgeschichte.«
    Ich nickte freundlich.
    »Eine saublöde Affäre«, bemerkte er und setzte seine Brille wieder auf. »Saublöd.«
    Ich spitzte die Lippen. Herr Knöterich! Ihre Wortwahl!
    »Warum wollen Sie ausgerechnet ...?«
    »Es wäre hilfreich, einmal die Sicht der Firmenleitung kennenzulernen«, unterbrach ich ihn. »Auch wenn die Kartellgeschichte so unerfreulich für Herrn Bünting verlief. Wissen Sie, kleine Eintrübungen machen eine Biographie noch interessanter. Unsere Leser mögen es, wenn es menschelt. Vor allem unsere Leserinnen.«
    Ein prima Stichwort. Die Leserinnen, das leuchtete ihm ein.
    »Tja, eine wirklich unerfreuliche Geschichte«, begann er und zuckte mit den Achseln. »Sie hat den DACH ganz schön zu schaffen gemacht. Wobei ich persönlich ... Das Ganze passierte vor meiner Zeit. Lange davor.«
    »Selbstverständlich«, beruhigte ich ihn. Knöterich? Er sollte Hasenfuß heißen. Oder Mauerblümchen.
    »Der Stein des Anstoßes damals war Sorbinsäure. Ein wichtiges Konservierungsmittel und eines unserer Hauptprodukte.«
    Ich nickte. Klar, wer kennt sie nicht, die gute Sorbinsäure.
    »Seit den 60er-Jahren, wenn nicht noch länger, waren die DACH und Hoechst praktisch die Einzigen, die weltweit in großem Maße Sorbinsäure herstellten. Niemanden störte das, niemand machte uns diese Stellung streitig – bis zu den frühen 90ern. Und dann ...« Er sah fast ein wenig verbittert drein.
    »Dann?«
    »Dann kamen die Chinesen.«
    »Die gelbe Gefahr«, entfuhr es mir.
    In dem Blick, den er mir zuwarf, schwang keine Spur Ironie mit. »Das können Sie laut sagen. Die Chinesen drängten mit einer eigenen Sorbinsäure auf den Markt. Zu Dumpingpreisen. Wahrscheinlich in Heimarbeit hergestellt. Oder in Arbeitslagern. Man kennt das ja.«
    »Die Chinesen«, nickte ich.
    »Die Folge: Wir mussten unsere Preise drücken. Gnadenlos. Vielleicht können Sie sich vorstellen, was das heißt. Bei den Lohnnebenkosten in Deutschland! Danach kräht in China kein Hahn. Aber die Qualitätsstandards: Wer garantiert für die, frage ich Sie?«
    »Die Qualitätsstandards«, notierte ich.
    »Gut, reden wir nicht von den Verlusten, die wir machten. Beziehungsweise die DACH. Aber der dickste Hund kam erst noch.« Wie zuvor stützte er seine Ellbogen auf die Sessellehnen und legte seine Fingerspitzen zusammen. »Dann brachten sich nämlich die Amerikaner in Stellung.«
    »Die Amerikaner?«
    »Denen fiel nichts Besseres ein, als aus heiterem Himmel ein Kartellverfahren gegen uns anzustrengen. Einer ihrer Anwälte behauptete plötzlich, die DACH und Hoechst hätten bis zum Auftauchen der Chinesen ihre marktbeherrschende Stellung zu Preisabsprachen genutzt. Wettbewerbsverzerrung, lautete der Vorwurf. Mit einem Schlag bestand halb Darmstadt aus Kriminellen.« Er kniff die Augen zusammen.
    »Ein amerikanischer Anwalt? Hier in Deutschland?«
    »Nein, nein, wo denken Sie hin. Das lief alles in den USA. In Deutschland hatte sich noch nie jemand an unserer angeblichen Monopolstellung gestört.«
    »Und wurden Sie ... wurden die DACH verurteilt?«
    Er schwieg. Selbst einem Benno Knöterich fiel es schwer, dieses himmelschreiende Unrecht in Worte zu fassen. »Ja«, sagte er schließlich. »Der Kläger bekam Recht. In der Urteilsbegründung hieß es, wir hätten, in Absprache mit Hoechst, die Bürger der USA durch überhöhte Preise jahrzehntelang geschröpft und Millionengewinne gemacht. Und dieses Geld

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