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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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verschwörerisch flüsternd, mit ukrainisch rollendem R an: »Schewtschenko, Andrej Voronin, Oleg Blochin. Da?«
    Bünting glotzte mich an, als sei ich gerade vom Mond gefallen. Ich nickte ihm zu und verließ den Raum.
    Als ich das Foyer betrat, hörte ich weiter hinten im Haus ein kurzes, scharfes Klatschen. Wie von einer Ohrfeige.
     

19
    Der Ausflug nach Darmstadt hatte mir gut getan. Ich fühlte mich tatendurstig, voller Energie. Dass der Zug auf dem Rückweg mehrfach auf freier Strecke hielt, störte mich nicht; so bekam ich Gelegenheit, über die Ereignisse der letzten Tage nachzudenken. Linkerhand erstrahlte der Odenwald in frischem Grün, und bei den DACH fragte sich ein braungebrannter Pressesprecher, ob er einem Heidelberg Lokaljournalisten nicht zu viel über die Sorbinsäurenaffäre und die gelbe Gefahr verraten hatte. Natürlich hatte er! Ich hätte eine ganze Handvoll schöner Artikel über ihn verfassen können: In seiner viel beachteten ethnologischen Magisterarbeit kommt Herr Benno Knöterich zu dem Schluss, dass Koalitionen zwischen Amis und Schlitzaugen den Untergang des Abendlandes bedeuten ... Wenigstens war er der Ethnologie erspart geblieben. Um die Zukunft der DACH hingegen musste man sich ernsthaft Sorgen machen. Wenn das der alte Bünting wüsste! Na, wahrscheinlich hatte er sich persönlich für den smarten Akademiker eingesetzt.
    »Sieben Minuten«, sagte die Frau, die mir gegenübersaß. »Sieben Minuten sind das jetzt schon wieder. Und mit der Baustelle hinter Hähnlein werden es 10, bestimmt. Wenn sich nicht noch einer vor den Zug wirft. Letzten Dienstag habe ich deswegen die OEG verpasst. Und geregnet hat es auch.« Seufzend vertiefte sie sich wieder in ihre Zeitung.
    Worüber hatte Knöterich geschrieben? Die Rituale der Hutu, glaubte ich mich zu erinnern. Ja, das gefiel mir. Die Hutu, nackt bis auf ihren Lendenschurz, echte Naturburschen mit unverdorbenem Charakter. Kein Gel, keine Hornbrille, keine Preisabsprachen. Einen von ihnen in seinem Büro auszustellen, das war Knöterichs Lebenstraum. Hinter Glas natürlich, damit er nichts schmutzig machte. Nur hereinspaziert, meine Herren; ist das nicht ein Prachtexemplar; günstig in Uganda erstanden; typisch die strammen Hinterbacken. Und dann würde sich die Unterhaltung doch wieder nur um Säuren und Basen drehen, um giftige Dämpfe und stinkende Lacke. Der Ruf von Chemikern war schlecht genug, schlechter war der Ruf von Leuten, die das Zeug verkaufen mussten. Was für ein trauriges, gut bezahltes Leben führte diese akademische Schlingpflanze.
    Nein, Mitleid empfand ich nicht. Sollte Knöterich selbst sehen, wie er mit der großen Sinnfrage zurande kam. Hätte ja nicht zu studieren brauchen; dann würde er jetzt auch nicht auf meine geballten Vorurteile treffen. Er hasste Amerikaner, ich hasste Studenten. Überall begegnen sie dir, auf der Hauptstraße, beim Bäcker, im Kino; palavern über ihre Arbeiten, ihre Lektüren, ihre Noten und die tapsigen, vollbusigen blonden Erstsemesterinnen; halten sich für Abstraktionswunder und die Elite von morgen und können dir nicht mal die Abseitsregel erklären. Vertragen keinen Tropfen. Lauter schwarze Löcher.
    Pauschalurteile? Natürlich sind das Pauschalurteile – aber man muss sich doch nur mal anschauen, welchen Müll die Universitäten Jahr für Jahr auskotzen, lauter promovierte Besserwisser und Karrierefetischisten. Die einen lassen sich korrumpieren wie der Diplomchemiker Bünting oder kaufen wie der Volkskundler Knöterich, die anderen sind nur noch in ihren virtuellen Welten lebensfähig, zwischen inflationsbereinigter Teuerungsrate und orthodoxer Subordination. Keine Widerrede, die gibt es. Vor Jahren habe ich mir einmal den Titel einer germanistischen Doktorarbeit notiert: Semasiologie und Onomasiologie der Preißelbeere. Mit scharfem S. Und genau dieses Problem – Preißel oder Preisel? – wurde dann 120 Seiten lang blitzgescheit diskutiert. Noch Fragen?
    Sicher, es gibt die eine oder andere Ausnahme. Einige meiner Kumpels haben studiert, einer von ihnen schmückt sich sogar mit einem Doktortitel. Ein Mathematiker. Aber gerade die ziehen am leidenschaftlichsten über ihre ehemaligen Kommilitonen her, und sie müssen es ja schließlich wissen.
    Ich weiß es im Übrigen auch: Zwei Semester habe ich mich der Alma Mater an die welke Brust geworfen, zwei verlorene, verplemperte Semester Psychologie. Hin und wieder träume ich von diesen anämischen Intellektuellen-Fratzen mit ihrem

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