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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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den Marktplatz zurückzuerobern. Sie waren nun eindeutig in der Überzahl. Die Stunde des ehrenvollen Rückzugs hatte geschlagen.
    »Los, abhauen!«, herrschte ich Bünting junior an. Der hielt die Hände vors Gesicht und wimmerte weiter. Seine Lippen waren geschwollen, die Backe war blutverschmiert. Kein Zureden half. Hier und jetzt, mitten auf dem Marktplatz wollte der Knabe sein Leben beschließen. Nicht so schnell, junger Mann! Bevor er von der Welt Abschied nahm, war er mir ein paar Auskünfte schuldig. Ich griff ihn am Kragen seiner Faschingsverkleidung und schleifte ihn übers Kopfsteinpflaster aus der Gefahrenzone. Vor uns wankte der Kartoffelsack, ganz mit seinem zerbissenen Ohr beschäftigt.
    Die Kampfhandlungen ringsum verebbten. Schon begann die Aufarbeitung der Geschehnisse, es wurde diskutiert, gestritten, beschuldigt. Die Polizisten machten Jagd auf einzelne Chaoten, die sie für Drahtzieher oder für besonders gefährlich hielten; überall lagen Benommene und K.-o.-Geschlagene herum, richteten sich Gefallene gegenseitig auf, erkannten sich Freunde, trennten sich Feinde. Ein paar mutige Zuschauer zückten ihre Fotoapparate, ein Grüppchen purzelte auseinander, als sich ein übereifriger Beamter in die Menschenansammlung stürzte, andere halfen den unfreiwilligen Brunnenfiguren, aus dem Wasser zu steigen. Freund Narbengesicht war auch darunter.
    Unter Aufbietung all meiner Kräfte hatte ich Arndt an eine Hauswand geschleppt, als sich dort ein Hoftor öffnete und mehrere Jungs herausstürmten, eine ganze Horde Gesetzeshüter im Schlepptau. Vermutlich die Kommandozentrale der linken Attacke. Von oben gab es einen letzten Gemüseschauer, noch einmal war der Lärm groß, und das Publikum vor dem Haus stob schreiend auseinander.
    Zwei Burschen, ausstaffiert wie Arndt, aber nicht halb so ramponiert, standen plötzlich neben uns. »Ist er okay?«, fragte mich der eine keuchend.
    Zum Antworten kam ich nicht mehr. Ein schneidender Schmerz fuhr mir durch die rechte Wange. Ich schrie auf, griff mir ins Gesicht und sah Blut an meinen Fingern. Blut und eine eklige weißlich-gelbe Flüssigkeit. Sie roch entsetzlich. Die beiden Uniformierten glotzten mich dämlich an und fingen an zu stottern. Ich glaube, sie waren kurz davor umzukippen.
    »Alles klar? Geht es?«, fragte der eine hilflos.
    »Mhm«, murmelte ich und entschied mich spontan für eine kleine schauspielerische Einlage. Meine Hand griff ins Leere, ich schnappte nach Luft und ließ meine Augäpfel kreisen. Dann sackten meine Knie weg, ich taumelte und fiel um. Platt wie ein Fahrradschlauch lag ich neben dem jungen Bünting, blutete aus der Backe und überlegte mir, welcher Gesichtsausdruck wohl zu einem Ohnmächtigen passte.
     
     
     

23
    »Mein Gott, wie siehst du denn aus?«, rief Christine entsetzt. Und dann, vorwurfsvoll: »Dass du dich so unter die Leute traust ...«
    Na, das war ja eine schöne Begrüßung. Aber keine Überraschung. Die Haut unter meinem linken Auge schillerte dunkelblau, über meine rechte Wange lief ein frischer, blutiger Riss. Meine Unterlippe war geschwollen, an Armen und Beinen hatte ich Schürfwunden davongetragen.
    »Ich setze mich erst mal, ja?«
    »Bist du gestürzt? Mit dem Fahrrad?«
    »Was du hier siehst«, sagte ich, »sind die Wunden meines Kampfes an drei Fronten gleichzeitig. Gegen die Reaktion, gegen die Anarchie und gegen die Repressalien des Staates.«
    »Ich bin beeindruckt.«
    »Sowie gegen feige Attentäter. Diesen Kampf habe ich allerdings verloren.«
    Sie schaute mich missbilligend an. »Ich hätte dir den Namen des BMW-Fahrers nicht heraussuchen sollen. Wenn du danach so aussiehst ...« Sie beugte sich über den Tisch, fuhr mir durchs Haar und gab mir einen Kuss. Ich ließ es geschehen. Sie ist meine Exfrau, also darf sie das.
    Draußen, in der Ferne, grollte es wie Donner. Vielleicht würde es heute Nacht endlich einmal regnen. Von der Theke her winkte uns Olli zu.
    Dass ich leidenschaftlich gerne esse, habe ich bereits erwähnt. Wo, ist mir ziemlich egal. Christine dagegen legt bei unseren gelegentlichen Verabredungen Wert auf ein passendes Ambiente, wie sie es nennt. Auf Kuschelatmosphäre, sage ich. Deshalb treffen wir uns, wenn wir uns treffen, bei Olli; nicht gerade oft, aber doch so regelmäßig, dass Olli nie auf den Gedanken käme, wir hätten uns getrennt. Soweit ich mich erinnere, haben wir es ihm sogar gesagt; Olli hat gelacht, hat uns zugezwinkert und jedem von uns einen doppelten Ouzo gebracht.

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