Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
loofen oder weeß ick, die Frau hat zu tun, jetzt ist se ja krank, die ist sonst tüchtig, steht mit Bücklingen, und lernen tun die Göhren ooch gerade so ville wie wir, kannste dir ein Bild machen. Siehste. Und det kann ick doch ooch verstehen, wenn andere Leute ihre Kinder die fremden Sprachen lernen, und im Sommer fahren sie ins Bad, und wir haben noch nicht die Groschen, det sie ein bißchen raus können nach Tegel. Und krumme Beine kriegen die feinen Kinder so bald überhaupt nicht. Und wenn ick zum Doktor muß und ick hab Reißen, dann sitzen wir zu dreißig dick zusammen im Wartezimmer, und nachher fragt er mir: det Reißen werden Sie wohl schon vorher ooch gehabt haben, und wie lange sind Sie denn da in Arbeit, und haben Sie Ihre Papiere gekriegt: mir gloobt er noch lange nicht, und dann gehts zum Vertrauensarzt, und wenn ick etwa mal verschickt werden will von der Landesversicherung, wofür sie einem immer Abzüge machen, na ick sag dir, da mußt du den Kopp unterm Arm tragen, bis sie dir verschicken. Fritze, det versteh ick allens ohne Brille. Da müßte eener dochn Kamel fürn Zoologischen Garten sein, wenn er det nich versteht. Und dazu brauch keen Mensch heutzutage Karl Marx. Aber Fritze, aber aber: wahr ist es doch.«
Und der Tischler hebt seinen grauen Kopf und sieht den Wirt groß an. Er steckt seine Pfeife wieder in den Mund, qualmt und wartet, was einer antworten wird. Der Wirt knurrt, spitzt die Lippen, sieht unzufrieden aus: »Mensch, hast ja recht. Meine Jüngste hat ooch krumme Beene, hab ooch keen Geld fürs Land. Aber schließlich: Arme und Reiche hats immer gegeben. Das ändern wir zwee beide ooch nicht.«
Der Tischler pafft gleichmütig: »Bloß: der soll arm sein, wer Lust dazu hat. Ja, sollen die andern vor mir arm sein. Ick hab nu eben keine Lust dazu. Wird einem eben uff die Dauer über.«
Sie sprechen ganz ruhig, schlucken langsam ihr Bier. Franz horcht immer. Willi kommt vom Schanktisch herüber. Franz muß aufstehen, seinen Hut nehmen, gehen: »Nee, Willi, ick will heut früh in die Klappe. Du weeßt doch von gestern.«
Und Franz marschiert allein die heiße staubige Straße lang, rumm die bum die dummel die dei. Rumm die bum die dummel die dei. Warte warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir, mit dem kleinen Hackebeilchen macht er Leberwurst aus dir, warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir. Verflucht, wo geh ich lang, verflucht, wo geh ich lang. Und er steht und kann nicht über den Damm, dann macht er kehrt, marschiert die heiße Straße zurück, an dem Lokal vorbei, wo die noch drin sitzen, wo der Tischler beim Bier sitzt. Ich geh nicht rein in das Haus. Der Tischler hat die Wahrheit gesagt. So ist die Wahrheit. Was mach ich mit Politik, mit dem ganzen Mist. Hilft mir nichts. Hilft mir nichts.
Und Franz marschiert wieder die heißen, staubigen, unruhigen Straßen lang. August. Am Rosenthaler Platz wird es voller, einer steht mit Zeitungen da, Berliner Arbeiter-Zeitung, Marxistische Feme, ein tschechischer Jude als Knabenschänder, 20 Knaben verführt, trotzdem keine Verhaftung, hab ich auch gehandelt. Furchtbare Hitze heute. Und Franz steht, kauft dem Mann die Zeitung ab, das grüne Hakenkreuz an der Spitze, der einäugige Invalide von der »Neuen Welt«, Trink, trink, Brüderlein trink, lasse die Sorgen zu Haus, trink, trink Brüderlein trink, lasse die Sorgen zu Haus, meide den Kummer und meide den Schmerz, dann ist das Leben ein Scherz, meide den Kummer und meide den Schmerz, dann ist das Leben ein Scherz.
Und er geht weiter um den Platz herum, in die Elsasser Straße hinein, Schnürsenkel, Lüders, meide den Kummer und meide den Schmerz, dann ist das Leben ein Scherz, meide den Kummer und meide den Schmerz, dann ist das Leben ein Scherz. Es ist schon lange her, Weihnachten voriges Jahr, Mensch, ist das lange her, hier hab ich bei Fabisch gestanden, ausgerufen, was war das für ein Bowel, Dinger für den Schlips, Schlipshalter, und Lina, Lina, die polnische, die dicke, hat mich abgeholt.
Und Franz marschiert, er weiß nicht was er will, auf den Rosenthaler Platz zurück und steht vor Fabisch an der Haltestelle, gegenüber Aschinger. Und wartet. Ja das will er! Er steht da und wartet und fühlt wie eine Magnetnadel – nach Norden! Nach Tegel, Gefängnis, Gefängnismauer! Da will er hin. Da muß er hin.
Und dann geschieht es, daß die 41 kommt, hält, und Franz steigt ein. Er fühlt, das ist richtig. Abfahrt, und fährt, und die
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