Betreutes Trinken
Frauen Mitte dreißig, die eine hervorragende Ausbildung genossen haben. Nur dadurch bin ich in diesen sehr gut bezahlten Job hineingerutscht, und es war mir klar, dass das Schicksal mich eines Tages ereilen würde – ich muss heiraten! Oder mein Steuerberater reißt mir den Kopf ab!«
»Scheiße, Katja – du willst Andi wegen Geld heiraten?«
Ich hätte nie gedacht, dass ich so enttäuscht darüber klingen kann, dass meine beste Freundin nicht ungeplant schwanger ist.
»Och Mensch Doki, du kannst einem auch alles versauen. Erstens mal: Andi will mich wegen des Geldes heiraten …«
Bei diesem zweifelhaftem Kompliment versucht Andi, sich in eine lässige Gigolopose zu werfen, sieht dabei aber eher aus wie ein dicklicher Zwölfjähriger, der zuviel von Omas gutem Apfelkuchen gegessen hat.
»… und zweitens: ist echt ein Batzen , den wir da sparen würden. Werden. Und ich meine einen Batzen für meine Verhältnisse, nicht für deine.«
Katja hält eine halbe Schweigeminute für Mammon ab. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Katja, die wie Dagobert Duck in einem Goldmünzenberg badet. Daneben steht Andi, der sich mit einem sehr großen Schein den Rücken abtrocknet. Geld verdirbt die Leute wahnsinnig schnell. Kaum redet einer von großen Batzen, stelle ich mir den Bräutigam meiner besten Freundin nackig vor, pfui.
»Doris, du wirst nie zu Geld kommen, wenn du dich bei der Erwähnung des Wortes schon schüttelst«, missversteht Katja meine körperliche Reaktion: »Jedenfalls, wir heiraten, übernächste Woche Standesamt, im September die Party und fertig.«
Sollte ich jetzt irgendetwas dazu sagen? Dem jungen Glück meinen Segen geben? Sie werden heiraten, in eine größere Wohnung ziehen und Batzen haben. Sie entwickeln sich weiter. Ich bin ganz gut im Zurückgehen: »Äh, ja, wie gesagt, super Idee, im ›Horst‹zuheiraten. Habt ihr euch schon überlegt, welche Band spielen soll?«
Katja überlegt laut: »Hm, vielleicht die finnischen Saunafreunde? Musikalisch habe ich ja nicht viel von denen mitgekriegt, aber wenn wir die buchen, muss die ja irgendjemand hinfahren, oder Doki? Vielleicht jemand, der Gunnar heißt und mir meinen Junggesellinnenabend nebst Freundin geklaut hat, indem er meinen Platz im King-Size-Bett eingenommen hat, um dort ein saftiges Wiedersehen zu feiern, von dem ich jetzt jedes schmutzige Detail hören will – Andi, geh mal raus!«
»Gerne«, schnauft Andi, erhebt sich und hält sich charmanterweise noch die Ohren zu, während er durch die Tür verschwindet.
»Gab gar keine schmutzigen Details«, gebe ich zu und suche den Boden nach Keksen ab, die neben dem Flokati gelandet sind.
»Ah, verstehe, Madame lässt ihn zappeln«, lobt Katja, und ich breche meine Suche nach unbehaartem Kleingebäck ab: »Ne, leider nicht. Wir wurden gestört glaube ich. Ach was, vergiss es, es war ein schöner Abend, und jetzt geht das Leben weiter.«
Katja sieht mich mit großen Augen an. Sie kennt mich zu gut, als dass sie mir so eine Einstellung auch nur ansatzweise zutrauen würde.
»Doris Kindermann, du hast geleuchtet, als du diesen Kerl wiedergesehen hast. Und er auch. Vielleicht wart ihr physisch nicht mehr in der Lage dazu, aber da geht doch was!«
Plötzlich überkommt mich dasselbe Gefühl, wie ich es als Kind immer hatte, wenn ich mit meiner Mutter im Schwimmbad war. Wir sind selten hingegangen, aus gutem Grund. Denn sobald ich dort war, bin ich ins Becken gesprungen und nicht mehr rausgekommen. Stundenlang, trotz Chlorallergie. Und wenn meine Mutter mich endlich eingefangen hatte, war ich durchgefroren, todmüde und gleichzeitig aufgekratzt: in der Stimmung für einen Trotzanfall, aber einfach körperlich und seelisch zu aufgeweicht, um es wieder in mein Element zurück zu schaffen. Ich habe auf der Rückfahrt nach Hause nur leise geweint, aus tiefstem Herzen, weil ich wieder mal keine Meerjungfrau geworden war und für immer weiterschwimmen konnte.
»Oh mein Gott, Doki, ich hoffe, das ist noch Restalkohol, den du da ausheulst! Jetzt sag’ nicht, dein doofer Gunnar hat dir ein Leid angetan, komm mal her!«
Katja quetscht mich an ihre weiche, warme Brust und riecht sogar ein bisschen nach heißem Kakao. Diese kombinierte Essenz der Mütterlichkeit lässt mich auf der Stelle komplett zum Kleinkind mutieren:
»Och ne, Scheiße, das war alles so komisch mit Gunnar, wir haben noch nicht mal Telefonnummern ausgetauscht, und er ruft nicht an, und er kommt ›demnächst‹ wieder, aber ich will
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