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Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Monarchien des sechzehnten Jahrhunderts oder totalitäre Staaten aus dem zwanzigsten sind, erließ der Gesetzgeber kein direktes Verbot der radikalen genetischen Modifikationen. Statt dessen redete er sie zu Tode.
    Das Bundesforum für Wissenschaft und Technologie hält sich an das Verfahren bei Gerichtsverhandlungen: eine Jury aus Wissenschaftern, Anträge, Beweisführungen und Kreuzverhöre, abschließende schriftliche Gutachten mit Vorbehalten für abweichende Meinungen, der übliche Ablauf eben. Das Wissenschaftsgericht hat keinerlei Entscheidungsgewalt. Es kann nur Empfehlungen für eine weitere Vorgangsweise abgeben, nicht jedoch selbst vorgehen. Niemand dort kann irgend jemandem Weisung erteilen, etwas zu tun oder zu lassen.
    Aber kein Kongreß, kein Präsident und keine AEGS-Kommission ist je anders vorgegangen als vom Wissenschaftsgericht empfohlen. Noch nie. Kein einziges Mal.
    So hatte ich also die ganze Wucht des Status quo auf meiner Seite, als ich in jener möbelzertrümmernden Nacht erklärte, daß sämtliche Manipulationen am menschlichen Genom der Kontrolle des Staates unterstehen sollten. Paul hingegen war entschieden für die ausschließliche Kontrolle durch Wissenschafter (er war selbst einer). Wir hatten, was die aktuelle Praxis betraf, beide recht. Aber selbstverständlich hatte die Praxis nichts zu sagen; ebensowenig wie die Theorie. Was wir tatsächlich wollten, war der Streit.
    Zertrümmerte Leisha Camden je ihr Mobiliar? Hieb sie ihre Faust durch Wände? Schmiß sie mit antiken Weingläsern? Als ich ihr so zusah, wie sie in das von weißen Säulen gestützte Forumgebäude auf der Pennsylvania Avenue schritt, glaubte ich das eigentlich nicht. Washington im August ist eine heiße Angelegenheit; Leisha trug ein ärmelloses weißes Kostüm. Ihr hellblondes Haar war zu kurzen, glänzenden Wellen geschnitten. Sie sah gelassen aus, kühl, einfach schön. Sie erinnerte mich, vielleicht zu Unrecht, an Stephanie Brunell. Alles, was fehlte, war der großäugige, rosafarbene todgeweihte kleine Hund.
     
    »Hört! Hört!« rief der Protokollführer, als die Fachkommission einmarschierte. Und dann regen sie sich auf, wenn die Medien es ›Wissenschaftsgericht‹ nennen. Washington bleibt Washington, auch wenn es sich vor Nobelpreisträgern erhebt und verneigt.
    Drei waren es diesmal, in dieser achtköpfigen Kommission: schwere Artillerie. Barbara Poluikis, Biochemie, eine winzigkleine Frau mit extrem wachen Augen. Elias Maleck, Medizin, der besorgte Integrität ausstrahlte. Martin Davis Exford, Molekularphysik, der eher aussah wie ein überreifer Ballettänzer. Klarerweise kein einziger Genetiker; auf diesem Gebiet haben die Vereinigten Staaten seit sechzig Jahren keinen Nobelpreisträger mehr gestellt. Auf die Mitglieder der Kommission hatten sich die Rechtsanwälte beider Seiten geeinigt. Es wurde vorausgesetzt, daß die Kommissionsmitglieder unparteiisch waren.
    Ich saß im Mediensektor, dank Colin Kowalskis mitgelieferten Ausweispapieren – die so schlecht gefälscht waren, daß jeder, der sie genauer kontrollierte, zu dem Schluß kommen mußte, daß ich selbst, die arme Bekloppte mit dem Gravison-Syndrom, sie gefälscht hatte und selbstverständlich nicht irgendeine kompetente Behörde. Die Medien waren stark vertreten, sowohl in menschlicher als auch in robotischer Form. Neuigkeiten aus dem Wissenschaftsgericht werden auf allen Macher-Kanälen ausgestrahlt.
    Nachdem die Kommission sich niedergelassen hatte, blieb ich stehen – sehr ungehobelt! –, um das Publikum nach Nutzern abzusuchen. Möglicherweise saßen einer oder zwei auf der Galerie; der Saal war so groß, daß ich in der Eile nicht mehr feststellen konnte. »Bitten setzen Sie sich«, forderte mein Sitz mich umsichtig auf, »Sie könnten anderen die Sicht nehmen.« Wie wahr! In meinem leuchtend lila Overall und dem Behang aus Limodosenblech und Plastik stellte ich ein absolutes Einzelstück im Mediensektor dar und gewiß einen blendenden Schmerz für aller Augen.
    Im vorderen Teil des Raums, hinter einem antiken Holzgeländer und einem unsichtbaren Hochsicherheitsschild aus Y-Energie saßen die Antragsteller, die Sachverständigengutachter, die Kommission und ein paar hohe Tiere. Leisha Camden saß neben Amateuradvokatin Miranda Sharifi, die plötzlich in Washington aufgetaucht war – keiner wußte, woher. Nicht von Huevos Verdes jedenfalls, denn seit Tagen ließen die Medien die Insel nicht aus den Augen und beobachteten sie mit der

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