Bezwungen von deiner Leidenschaft: Roman (German Edition)
sie betreten hatte – allein und zutiefst frustriert. Er watete durch den Sumpf menschlicher Dummheit und hoffte, einen Diener zu finden, der ihm seinen Paletot bringen könnte, und seine Schritte waren so fest, dass nur wenige erraten hätten, wie viel er getrunken hatte.
In diesem Augenblick spürte er, das sich jemand eng an ihn drängte. Er drehte sich um und stand einer Blondine in einem abgetragenen Satinkleid gegenüber – eines von Straights Mädchen, vermutete er. Eine der Frauen, die dafür bezahlt wurden, die männlichen Gäste zu unterhalten und dafür zu sorgen, dass sie an den Spieltischen blieben. Die Frau war klein und sah ihn kokett an.
»Lord Rothewell!« Mit funkelnden Augen legte sie den Kopf schief wie ein neugieriger Vogel. »Erinnern Sie sich an mich?«
Unschlüssig zögerte er für einen Moment. »Natürlich, meine Liebe«, schwindelte er dann. »Wie könnte ein Mann Sie vergessen?«
»Ich möchte gern an den Pharao-Tisch gehen«, sagte sie und legte die Hand an seinen Ellbogen. »Vielleicht braucht ein so gut aussehender Mann wie Sie eine Lady als Begleitung, die ihm Glück bringt?«
Rothewell hatte nicht das Herz, ihr zu sagen, dass sie weder eine Lady noch dazu geeignet war, ihm etwas anderes als den Tripper zu bringen. »Danke, meine Liebe, aber nein«, lehnte er ab. »Ich glaube, es ist zu spät, meinen Abend zu retten.«
Die Blondine drängte sich noch enger an ihn. »Wir könnten vielleicht ins Hinterzimmer gehen?«, schlug sie vor. »Nur für eine Weile, um Sie Ihr Pech vergessen zu lassen?«
Es war der letzte Strohhalm für Rothewell. Er schob ihren Arm von seiner Taille und wich zurück. Flüchtig huschte so etwas wie Angst über ihr Gesicht.
»Es tut mir leid«, sagte er entschlossen. »Nicht heute Abend.«
Der ängstliche Gesichtsausdruck – wenn es ihn denn gegeben hatte – erlosch. Ohne ein weiteres Wort zog sie sich zurück und verschwand in dem überfüllten Raum.
Rothewell beglich bei Straight’s seine Rechnung, fand seinen Paletot und ging dann die Stufen hinauf, um sich auf den Weg Richtung Zuhause zu machen. Der Weg zurück zum Berkeley Square betrug nur eine knappe Meile, aber er wünschte jetzt, dass er den Verstand gehabt hätte, mit seiner Kutsche zu fahren.
Die Wahrheit war, das war ihm unvermittelt klar geworden, dass er Camille sehen wollte – auch wenn das einem Spiel mit dem Feuer gleichkam. Er musste sich einfach nur vergewissern, dass – nun, er wusste es nicht. Er fühlte einfach eine plötzliche Abscheu darüber, wer und was er war, und mit diesem Gefühl kam ein seltsam heftiger Wunsch einher, nach Hause zu gehen.
Nach Hause. Nun gut. Vielleicht hatte er ja doch ein Zuhause.
Aber zu dieser späten Stunde wäre es vermutlich nicht passend, Camille zu sehen. Vermutlich war sie schon vor Stunden schlafen gegangen. Und er konnte nicht gut einfach in ihr Schlafzimmer stürmen. Was sollte er sagen? Ich bin betrunken und bade in Selbstmitleid? Nein. Das war ein Gefühl der Schwäche und deshalb nicht zu akzeptieren. Nicht einmal sich selbst würde er so etwas eingestehen.
Rothewell blieb unter einer Straßenlaterne stehen, um nach der Uhrzeit zu sehen. Aber in seiner Westentasche steckte keine Uhr. Auch nicht in seinen Manteltaschen, wie er feststellte, als er sie durchsuchte. Wie seltsam. Er ging niemals ohne seine Uhr aus dem Haus.
Und dann begriff er. Die Frau in dem abgetragenen Kleid! Rothewell fluchte lautstark. Sie hatte sich an seinen Arm gehängt! Die kleine Hure hatte ihn so geschickt aufs Kreuz gelegt, als wäre er ein Bauernjunge, der gerade erst nach London gekommen war. In genau dieser Minute würde seine Uhr vermutlich zur Hintertür hinaus- und die Straße hinuntergehen. Zum Teufel noch mal. Bei einem solchen Glück, wie er es hatte, war es höchste Zeit für ihn, nach Hause zu gehen. Wobei eine gestohlene Uhr allerdings die letzte seiner Sorgen war.
Die Nacht war kalt, aber innerlich glühend von seinem Zorn und seinem Brandy, setzte Rothewell seinen Weg durch die von Gaslaternen beleuchteten Straßen Sohos fort. Er hielt sich dabei an die weniger gefährlichen Straßen, die von gepflegten Mittelklassehäusern gesäumt wurden. Um seine Gedanken von Camille abzulenken, begann er, sie genauer anzuschauen. Sauber gefegte Treppen. Glänzende schwarze Fensterläden. Blumen, manchmal in Töpfen auf den Stufen oder in Kästen vor den Fenstern. Rothewell vermutete, dass ein Mensch die unauffälligsten Dinge wahrzunehmen begann, wenn
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