Bilder von dir: Roman (German Edition)
Rucksack grunzte.
Sie streckte ihm die Hand entgegen. Während Arthur sie schüttelte und dabei ihr Gesicht und ihre braunen Augen studierte, war er wie benommen von ihrer Präsenz in diesem merkwürdigen Filmset: Sie war warmherzig und sie schauspielerte nicht. Sie war real. Sie war ein Mensch, ein Mensch wie er selbst, der Amy gekannt hatte. Amy geliebt hatte.
Wenn man der Postkarte Glauben schenken durfte, war sie Amys einzige Erbin.
Die Postkarte war mit dem Datum vom 18. August 1993 versehen. Darauf stand:
Mona Jones, es tut mir leid. Ich hätte es dir sagen sollen. Du kanntest mich besser als alle anderen – ich glaube, du kanntest mich besser als ich mich selbst. Keine Sorge. Ich schwöre dir, ich bin tot glücklicher. Wie auch immer, ich habe dir die besten Teile von mir zurückgelassen . Du weißt, wo du nachsehen musst .
Arthur war mehr als geschockt. Er hatte sie an dem Tag, als Amy starb, gelesen, halb nackt auf dem Boden vor seinem Schrank liegend, mit zitternden Händen, nachdem er sie aus den Tiefen des pinkfarbenen Schuhkartons geholt hatte. In diesem Schuhkarton war der gesammelte Müll von Amys Leben: Fotografien, Ansichts- und Glückwunschkarten, Ticketabschnitte, Anstecker und Glücksbringer, von denen sie sich aus Gründen, die nur sie kannte, nicht hatte trennen können. Es war ein Miniaturmuseum, in dem es zusammen mit dem, was von der eben Verstorbenen übrig war, von Erinnerungen wimmelte. Das übervoll war mit Amy und mit ihm.
Das Erste, was er aus dem Karton zog, war ein Aufkleber für das Autoheck: MEINE KATZE STEHT AUF DER EHRENLISTE . Darunter lagen Fotos von ihrer letzten Fahrt nach Catalina Island, fröhliche Sonnenfotos von Katamaranen und einem Ozean so blaugrün wie ein Bonbon. Ein alter Kirschenstiel, verknotet, getrocknet und zäh, der aber immer noch nach Zucker roch. Ein winziger Krake aus Ton – das monströse Meeresungeheuer, das in Kampf der Titanen die Stadt Argos zerstört –, geformt von Amys Teenagerfingern aus grüner Modelliermasse, der ihr Glückstotem gewesen war. Noch mehr Fotos von Amy und Arthur auf Catalina, im Freizeitpark Knott’s Berry Farm, eingewickelt in eine hellgrüne Decke und hinter den Dünen bei Point Dume verbotenerweise Tequila schlürfend (dieser Tag – o ja, an diesen Tag konnte er sich noch gut erinnern). Amy, jegliche Hygienemaßnahmen missachtend, wie sie auf dem Hollywood Boulevard auf ihrem Bauch liegt, die Lippen geschürzt zu einem Kuss auf Harryhausens rosa Granitstern. Ein Ticketabschnitt, verblichen und verbogen, vom Neil-Diamond-Konzert, das sie in der Hollywood Bowl an ihrem ersten Jahrestag besucht hatten.
Bei ihrer ersten Verabredung hatte Amy ihn gewarnt, sie sei eine der am wenigsten sentimentalen Personen im Universum. Du hast mich angelogen, flüsterte Arthur und strich die Serviette aus dem In-’n’-Out in seiner Handfläche glatt, die von dem Tag stammte, an dem sie sich begegnet waren, und auf der seine Telefonnummer im Motel mit rotem Stift festgehalten war.
All die Fotos, von denen er genau wusste, wie er sie gemacht hatte. Alle Ereignisse, an die er sich erinnerte.
Bis Arthur durch die oberste Schicht zur Welt darunter vorstieß.
Nur Amy hätte die Bedeutung des Einwickelpapiers erklären können, das sie von einer Flasche Red Stripe gepult hatte, auf dem Lass dich von den Scheißkerlen nicht runterziehen gekritzelt stand. Nur Amy wusste, woher sie den Schlüsselanhänger mit dem grünen Plexiglasherz hatte, das in der Mitte durchgebrochen war. Nur Amy hätte erklären können, warum sie ein Paar vollkommen runde Manschettenknöpfe mit Silberrand und einem rubinroten Stein in gelbes Seidenpapier gewickelt und sicher in einem Osterei aus Plastik verstaut hatte. Er hielt sie in der Hand. Sie waren wunderschön und schwer.
Und dann diese Postkarte. An Mona Jones im Darby-Jones-Gästehaus in Ruby Falls, New York. Die Stadt, in der Amy aufgewachsen war. Die Stadt, über die Amy niemals sprach. An Mona Jones, die sie besser kannte als sie sich selbst. Mona Jones, der Amy etwas vermacht hatte – die besten Teile von ihr, ihres (auf diese Weise glücklicheren) toten Ichs, dazu sechs schlichte Worte als Anweisung: Du weißt, wo du nachsehen musst .
Arthur hatte Amys letzten Willen und Testament gefunden: eine vor über anderthalb Jahrzehnten geschriebene Postkarte, die nie abgeschickt worden war.
Lauf , sagte Amy ihm und wies ihm die Richtung. Dorthin .
Er würde Mona Jones alles erzählen müssen.
»Ich
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