Bilder von dir: Roman (German Edition)
strengte sich noch mehr an, er wusste, es gab eine Antwort: Er musste nur tiefer eindringen, genauer hinsehen, er verfügte über die Kraft, das zu finden, was sie zurückgelassen hatte, wenn er es nur genug wollte. Und er wollte es, mehr als er jemals etwas gewollt hatte. Also setzte er sich jeden Tag auf das grüne Sofa, wählte blind einen Gegenstand aus dem Schuhkarton und wartete auf Amy, dass sie zu ihm oder durch ihn sprach und ihn sehen lehrte.
Im Karton fand Arthur einen kleinen rosa Plastikaffen, dessen Schwanz wie ein Fragezeichen geschwungen war. Er hatte bei ihrer ersten Verabredung an Amys Margarita-Glas gehangen. Nach dem Essen im In-’n’-Out war Arthur als Erster eingeknickt: Noch am gleichen Abend hatte er angerufen, ohne sich darum zu kümmern, was für einen verzweifelten Eindruck das auf sie machen musste. Er war verzweifelt – ohne Freunde, verwirrt und einsam – und Amy war sein Leuchtturm, der ihn zurück an Land führte.
»Sie scheinen davon auszugehen, dass ich recht frei über meine Zeit verfügen kann, Rook.« Ihre Stimme knackte, denn die Verbindung war schlecht. »Wenn Sie für eine Verabredung nicht mindestens vierundzwanzig Stunden im Voraus anrufen.«
»Ja, in diesem Fall sind Sie mal die soziale Außenseiterin«, erwiderte Arthur.
Amy lachte. »Nicht doch, einen Typen mit sozialen Defiziten muss man einfach lieben, oder?«
Arthur, dem ganz leicht im Kopf wurde, konnte nicht an sich halten, er musste ihr einfach singend antworten: » Soziale Krankheitsfälle zu bekämpfen fällt schwer!«
Das Schweigen am anderen Ende kam abrupt und tat weh, und Arthur bekam Panik. »Tut mir leid, das war … dumm, ich war … ich habe auf der Highschool im Musical West Side Story mitgespielt. Ich war ein Jet.«
Da erst merkte er, dass sie lachte, ein sich langsam aufbauendes Lachen, das übers Telefon unhörbar war, denn es war ein Lachen, das den ganzen Körper erfasste, ihre Schultern zum Wackeln brachte und sie in der Taille leicht nach vorn beugen ließ. Er würde sie in den kommenden Jahren noch oft so lachen sehen und häufig auch der Auslöser dafür sein.
Sie atmete aus und lachte diesmal hörbarer. »Oh, Rook«, sagte sie, und dann: »Ich wollte Sie nur wissen lassen – es ist okay, ich verstehe.«
O Gott. »Was denn?«
»Wenn Sie ein Jet sind, dann sind Sie immer ein Jet. Hasta mañana .«
Am folgenden Abend holte er Amy an der Wohnung ab, die sie sich mit einem Schauspieler namens Desmond teilte. Er aß Nutella aus dem Glas, als Arthur klopfte. Desmond war klein und sah sehr gut aus und war, wie Amy dicht an Arthurs Ohr flüsterte, als sie über die wackelige Hintertreppe nach unten gingen, hoffnungslos in Keanu Reeves verliebt. »Sämtliche Wände«, verriet sie ihm, »die ganze Decke, alles ist vollkommen mit Ausschnitten aus Zeitschriften und Fotos tapeziert. Dieser Raum ist wie ein … Receiver, ein Verstärker. Als würde die bloße Kraft seines Verlangens von den Wänden reflektiert, intensiviert, um dann einen Keanu-Suchscheinwerfer anzuwerfen, der ihn leibhaftig werden lässt.« Achselzuckend ergänzte sie: »Er ist völlig durchgeknallt, aber eine solche Leidenschaft muss man respektieren.«
Sie gingen in eine Kellerbar in Burbank, weil Amy meinte, dort gebe es die beste dünnkrustige Pizza der Stadt, und so war es auch, obwohl Arthur das erst Jahre später dank besserer Vergleichsmöglichkeiten beurteilen konnte. Der rosa Plastikaffe hatte am Schwanz vom salzigen Rand des Margarita-Glases gebaumelt, das Amy bestellt hatte. Bei einer riesigen Pizza, mehreren Margaritas und einem Krug Bier hatte Amy Arthur von ihrer Begeisterung erzählt, leblose Gegenstände zu animieren. Arthur erzählte Amy von seinen Eltern, die in Sorge waren, seine künstlerischen Ambitionen würden ihn für den Rest seines Lebens zu einem Dasein in einer Souterrainwohnung verdammen, von David, der sich an Arthurs dreizehntem Geburtstag das Bein gebrochen hatte – was David mit Absicht tat, denn er war so neidisch auf den Nintendo, den Arthur bekam –, von der Krebserkrankung seiner Mutter, ihrer Chemotherapie.
Dann erzählte Amy ihm, dass sie ohne Geld und ohne Aussicht auf eine Bleibe nach L. A. gekommen sei, im YMCA -Heim gewohnt, als Aushilfskraft und Kellnerin gearbeitet und bis spät in die Nacht an ihren Kreaturen gesessen habe, Ungeheuern aus Ton und Draht, die im Mondlicht auf ihrer schäbige Matratze kämpften; von dem Fenster, das sich kaum öffnen ließ; von dem
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