Bilder von dir: Roman (German Edition)
gesprungenen Spiegel.
Arthur erzählte Geschichten aus der Schule von seinem Klassenkameraden, der ein Foto ums andere schoss und das dann Fotokunst nannte, von Eva, seiner Mentorin und Lieblingsprofessorin, geboren in Russland und unverfrorene Kommunistin, die eine Fotoserie mit ihren Studenten machte, wie sie einander mit Fischattrappen schlugen. Er meinte, auf der Kunstschule hätte es ihr sicherlich auch gefallen und sie hätte sich mit Sicherheit auch für die absurde Mischung aus Ambition und Überheblichkeit, den schöpferischen Morast, den melodramatischen Klatsch und die Rangeleien kreativer Menschen begeistern können. Er bat darum, ihre Monster sehen zu dürfen, sagte, dass er sie unbedingt sehen müsse, und wurde sich mit einem Schlag, als hätte ein Meteor die Erde getroffen, bewusst, dass sein weiteres Leben ganz anders verlaufen würde, wenn er Amy nicht küsste, bevor diese Nacht zu Ende war.
»Ich muss dich heute Abend küssen«, sagte er, betrunken genug, um daran zu denken, dass er sie vorwarnen sollte. »Wenn ich dich nicht küsse, wirst du weggehen. Dich in einen Kürbis oder eine Maus mit einer kleinen Schürze oder sonst was verwandeln.«
»Ich glaube, heute Abend bist du derjenige, der geküsst werden sollte«, erwiderte Amy mit etwas schleppender Stimme, die Arthur zu seiner Erleichterung verriet, dass auch sie ein wenig beschwipst war. » Wie lange bist du jetzt hier, ohne dass dich jemand geküsst hat? Denn um nichts anderes geht es in dieser Stadt. Geküsst werden und abheben, läuft alles aufs Gleiche raus.« Sie rülpste anmutig. »Wir sollten uns den passenden Ort für einen großen Hollywoodkuss suchen.«
»Wo sind wir hier, in Burbank? Wo geht’s nach Hollywood?« Arthur rutschte aus der Nische und ergriff Amys Hand, um ihr zu helfen. Ihre Finger waren lang und kühl, und sie wickelte sie um seine. »Ich habe mir Hollywood ganz anders vorgestellt.«
Amy hielt ihm die Tür auf, und gemeinsam wankten sie aus der Bar. »Keiner rechnet damit«, sagte sie, »dass Hollywood aus einem Haufen popeliger Einkaufsmeilen und Videoshops für Erwachsene und Autohändlern und Neunundneunzig-Cent-Läden und Parkplätzen und … und so … besteht. Verflucht noch mal, ich bin zu betrunken, um zu fahren. Du ebenso. Ich meine, du auch.«
Neben der Bar befand sich ein Waschsalon, und Arthur lehnte seine Stirn an die Fensterscheibe. Die Trockner vor ihm summten, konzentrische Kreise drehten sich synchron, wirbelten fröhlich im fluoreszierenden Dunst herum. Eine übergewichtige Frau in einem violetten T-Shirt faltete ein Bettlaken.
»Wir können runter zum Sunset oder nach Hollywood fahren, oder auch hoch zum Mulholland Drive. Mulholland ist einsame Spitze. Und wird dem Mythos gerecht.« Amy schob ihren Arm unter den von Arthur, nahm seine Hand und legte ihre Stirn neben seine auf die Scheibe des Waschsalons. »Er ist dunkel und kurvig und so hoch oben, dass dir die ganze Stadt zu Füßen liegt. Eine Million Lichter. Es ist ein schwarzer Sternenteppich.« Er spürte, wie ihr Körper sich mit einem Seufzer erst weitete und dann zusammenzog. »Oder wir schauen die ganze Nacht diesen Trocknern zu.«
»So schön«, war alles, was Arthur beisteuern konnte. Während er am Anfang nur die Kreise gesehen hatte, sah Arthur jetzt die darin schwirrenden Farben – ein blauer Streifen, ein rosa Komet, ein gelber Fleck, die sich feucht von der Hitze und hinter Glas gefangen wie Römische Lichter zu einem Strudel vereinten. Das war ein neues Hollywood für Arthur – das war nicht die Zombie-Stadt, die sich bis vor zwei Tagen einen Monat lang an ihm geweidet hatte. Aber es war auch nicht der gepriesene, eigens für die Inszenierung entworfene Märchenglanz mit seinem Schein der Unmöglichkeit.
Es war ein Waschsalon neben einer Bar. Es war ein Bier in seinem Blut und eine Frau, die neben ihm atmete und seine Hand hielt.
Es war besser als alles, was er je gekannt hatte.
Er stieß sich von der Scheibe ab, und Amy folgte ihm. Dass Arthur zu einer derart anmutigen Geste ausholen würde, war so von ihm keinesfalls geplant gewesen, und er hatte so etwas auch noch nie versucht, aber ob es nun am Alkohol oder einem rudimentären Hollywoodzauber lag, darauf kam es schließlich nicht an. Er schwang Amy an seinem ausgestreckten Arm von sich weg, zog sie wieder zu sich heran und ließ sie dann über seinem ausgestreckten Knie nach hinten fallen, sodass die Spitzen ihrer Haare den Zement berührten, während er sie
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