Bilder von dir: Roman (German Edition)
Visueller Theorie und zwei Dreien und eine Vier in Figürlichem Zeichnen, Mixed Media und einem Einführungskurs in die Malerei –, hatte sein Vater ihm unters Kinn gefasst, seinen Erstgeborenen beiseitegenommen und ihm erklärt, wenn er nackte Mädchen sehen wolle, brauche er dazu kein Kunststudium, sondern solle öfters mal auf Partys gehen. Es sei nicht gesund für einen jungen Kerl, zweimal in der Woche nackte Mädchen im Unterricht zu sehen und sie dann zu malen , verflucht noch mal. Aber Arthur hielt durch (und behielt es für sich, dass er tatsächlich eins der Modelle seines Kurses für figürliches Zeichnen auf einer Party getroffen und sie somit in einem rein geselligen Kontext nackt gesehen hatte), und sobald er die vom Lehrplan geforderten Kohlenstift, Pastell-, Ölfarben- und Bleistiftzeichnungen hinter sich gelassen hatte, war sogar sein Vater beeindruckt.
Dass seine Entscheidung gerechtfertigt war, offenbarte sich Arthur erstmals, als er am Ende seines ersten Semesters »Einführung in die Fotografie« eine Filmrolle entwickelte. Die Aufgabe bestand darin, aus einem alltäglichen Gegenstand ein Detail auszuwählen und in Nahaufnahme zu fotografieren, sodass es unkenntlich und auf seine reinsten Linien und Formen reduziert wurde. Arthur war in dieser Zeit mit einer vollbusigen Gesangsstudentin namens Beatrice liiert gewesen, die üppig aufgetragenen violetten Lidschatten verwendete und Madonna-Songs unter der Dusche schmetterte – jeden Tag einen anderen. Eines Morgens, als sich der Refrain von »Like a Prayer« über das Gewimmer der Wasserrohre im Wohnheim legte, war Arthur aus ihrem Einzelbett gekrochen, hatte seine Kamera geschnappt und sich in ihrer Kommode für Unterwäsche auf Fotosafari begeben. Sie waren erst seit einer halben Woche zusammen – das wohnheimeigene Einzelbett hatte sämtliche Vorstufen gesehen und wartete nur noch auf das eigentliche Geschehen –, doch nach allem was das Gesamtpaket Beatrice versprach, hatte Arthur damit gerechnet, in ihrer Wäschekommode Unterwäsche vorzufinden, die dem Taj Mahal entsprach. Die wenigen Stücke, die er bereits sehen durfte, hatten das nahegelegt, aber sie erwiesen sich als die Ausnahme, nicht die Regel. Sein erster Gedanke beim Sichten der perfekt gefalteten Reihen weißer und cremefarbener Höschen
und passender BH s – mit ein paar knallbunten Spitzendingern, die aber in einer Ecke zusammengequetscht waren wie ein abnormaler Federschmuck – war der, dass er versehentlich die Wäschekommode ihrer Zimmergenossin geöffnet hatte. Aber nein. Beatrice, die vollbusige Gesangsstudentin, hatte ein Einzelzimmer und somit keine Zimmergenossin. Was sie jedoch hatte – eine abstoßend ordentliche Kommode voller Baumwollunterhosen und beigefarbener geschlossener BH s – machte Arthur ganz nervös, hielt ihn jedoch nicht davon ab, hastig zwei Dutzend Fotos zu schießen, bevor Beatrice tropfend und summend zurückkam.
Erst als er den Film entwickelte, begriff er, was er vor Beatrices Kommode mit der Unterwäsche empfunden hatte, die in seiner Fantasie, welche seinen Wachzustand großteils beherrschte, einmal als eine wimmelnde Masse von schwarzer und roter Spitze, Strings und Strapsen existiert hatte, deren Zweck und Funktion er sich zu erforschen gesehnt hatte, wie ein Eroberer sich nach unentdecktem Land sehnt. Das Gefühl, das Arthur ergriff, als er die tropfenden Fotos zum Trocknen aufhängte, war jedoch komplexer und völlig unerwartet. Sie gehörten nicht gerade zu seinen kompositorisch besten Aufnahmen, aber er hatte die Aufgabe punktgenau erledigt: Nichts davon sah nach Unterwäsche aus.
Es sah aus wie Schneefelder. Frisch gebügelte Krankenhauswäsche. Leere Leinwand. Seidige Eiscremekugeln. Und das leichte Bedauern, das Arthur seiner Meinung nach hätte empfinden müssen, als er das zugeknöpfte Baumwollmädchen unter Beatrices Halbwelt-Attitüde hervorschauen sah, verschwand. Seinen Platz nahmen echte Zärtlichkeit und eine Neugier anderer Art ein – für diese andere Person, eine echte Person mit dem Potenzial, ihn zu überraschen und nicht nur seinen wildesten Fantasien und Erwartungen gerecht zu werden. Er bekam für diese Aufgabe eine Eins plus und wahrte seine künstlerische Integrität (und die seiner Freundin), indem er sich weigerte, den Gegenstand seiner Fotos offenzulegen.
Die Fotos erwiesen sich als dauerhafter als Arthurs Beziehung zu Beatrice, die keinen Monat anhielt und wegen unvereinbarer Differenzen
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