Bilder von dir: Roman (German Edition)
Jahre lang nicht mehr existiert und würde auch nie wieder existieren.
Und dieser andere Arthur – der in Amy und Los Angeles verliebte Arthur, der am Fototag in die Grundschulen ging und den Kindern sagte, sie sollten Flatulenz sagen, was jedoch nur bei den schlauen Drittklässlern und dann den Fünftklässlern und darüber funktionierte –, der nebenbei freiberuflich Porträtaufnahmen machte und erst skeptisch war, als sein Chef ihm sagte, das ganze Studio werde auf digital umgestellt, und dann traurig, weil dies bedeutete, dass es keine Dunkelkammer mehr gab und Arthur sich zum Entwickeln seiner Abzüge etwas anderes suchen musste – der mit Amy zu Abend aß, mit Amy schlief, der sich gelegentlich mit Amy stritt, aber nie über etwas Großes, der an Freitagabenden zu Hause blieb, um am Samstagmorgen früh aufzustehen und mit Amy laufen zu gehen – diesen Arthur Rook gab es nicht mehr.
Stattdessen war da ein neuer Arthur, ein Arthur, der träumte und litt und blind war.
Am Morgen nach seinem ersten Abendessen mit den anderen Bewohnern erwachte Arthur noch immer gesättigt und voller Schuldgefühle. Er hatte sich aus zwei Gründen wieder unter Leute begeben, beide eigensüchtig: Er hatte Monas Hackbraten gerochen, und ihm war klar geworden, dass es Zeit für den nächsten logischen Schritt in seinen Ermittlungen war. Es war Zeit, sich Mona zunutze zu machen.
Doch er hatte nicht mit der seltsamen alten Frau gerechnet und auch nie beabsichtigt, eine Szene zu machen, und schon gar nicht hatte er mit der Wirkung rechnen können, die Monas Kochkünste auf ihn hatten. Nachdem er sich eine Woche lang fast ausschließlich von gezuckertem Müsli, Erdnussbutter und Wasser ernährt hatte, hatte Monas Mahlzeit auf seinen Stoffwechsel die Wirkung einer Droge, und einen berauschenden Moment lang konnte Arthur wieder sehen: sah Mona, die ihn wohlwollend über den Tisch hinweg anschaute. Der Gedanke, dass Mona gegen die andere Bewohnerin – diese alte Frau mit weißem Haar, deren Name ihm nicht mehr einfiel – Partei für ihn ergriff, stimulierte ihn, denn das konnte nur bedeuten, dass sie ihn mochte. Sie würde wieder mit ihm reden und ihm dann Dinge über Amy und den Inhalt des Schuhkartons erzählen. Was ihm Unbehagen bereitete, denn er musste dafür sorgen, dass er im Gegenzug nicht zu viel von sich preisgab. Er durfte Mona die Postkarte nicht zeigen, die Amys beste Teile jemandem vermachte, der schon wissen würde, wo er nachzusehen hatte. Der Versuch, sich an die Wahrheit heranzutasten, von der Amy wollte, dass er – und nur er – sie entdeckte, würde schwierig sein, aber notwendig, und wenn man dabei ein kulinarisches Genie im Ungewissen lassen musste, war das nicht zu ändern.
Harry lag neben Arthur im Bett, fast schon in Löffelchenhaltung.
»Guten Morgen«, sagte Arthur. Harry seufzte.
Arthur roch Sonnencreme und Orangen und setzte sich auf, um seine Beine aus dem Bett zu schwingen.
Vielleicht träumte er ja noch.
Er stand. Ein dumpfer Schlag verriet ihm, dass Harry vom Bett gesprungen war, und Arthur holte tief Luft und setzte dann einen Fuß vor den anderen. Es war ein Gefühl wie im Traum: Sein Kopf war leicht und ganz weit weg.
Mona sang in der Küche, und Arthur hörte sie, sobald er die Tür öffnete, und einen Moment lang jagte es ihm einen Schauder über den Rücken. Doch er weigerte sich, wach zu werden.
Die alten Dielenbretter knarrten unter seinen nackten Füßen. Er wusste nicht, wohin er ging, vertraute einfach darauf, es zu wissen, wenn er ankam. Der Flur hatte eher etwas von einem Balkon oder einer Brustwehr: ein Treppenabsatz, der sich über alle vier, durch kurze Treppen verbundene Stockwerke, die sich wie Obstschalen ringelten, um den hohlen Kern des Hauses herumwand. In einem solchen Haus war Arthur noch nie gewesen, es war eine optische Täuschung oder eine völlig unmögliche Darstellung, und es beunruhigte ihn, machte ihn argwöhnisch und gab ihm das Gefühl, beobachtet zu werden.
Oberhalb der Haupttreppe kam er an großen gerahmten Schwarz-Weiß-Fotografien von zwei jungen Männern in altmodischen Anzügen mit steifen Kragen und passenden silbernen Taschenuhren vorbei, die einander in Stühlen mit hohen, geraden Rückenlehnen gegenübersaßen. Hinter einem der Stühle stand eine Frau mit verbissener Miene und dunklem lockigem Haar.
Er sah die beiden Männer an. Betrachtete ihre Gesichter. Der Mann zur Linken hatte dichtes schwarzes Haar, eine lange Nase und ein bleiches
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