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Bilder von dir: Roman (German Edition)

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Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
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nicht einmal seine eigene Hand erkennen können, wenn er sie sich vors Gesicht hielt.
    »Mom«, sagte Oneida, aber ihre Mutter bekam es nicht mit. Sie war sich nicht sicher, ob sie es laut gesagt hatte, also versuchte sie es noch mal. »Hey, Mom«, sagte sie und stand auf, die Windexflasche in der Hand.
    »Oh … oh, Liebes, es tut mir …« Mona, die mit ihren Kräften am Ende war, konnte den Satz nicht beenden, und Oneida war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob sie den Zustand, in dem ihre Mutter zurückgekommen war, als tröstlicher ansehen sollte, als die schrecklichen Katastrophenszenarien, die sie sich während des Wartens ausgemalt hatte. Mr. Rook lehnte mit seinem ganzen Gewicht an Mona, sein Kopf wackelte und Mona wankte durch die Diele. Als Oneida ihr zerknittertes Gesicht und den Blick sah, den sie auf ihre Tochter richtete – bittend, reumütig und auch noch mitleidig, was das Schlimmste war –, wäre sie am liebsten hoch auf ihr Zimmer gerannt und nie wieder herausgekommen. Aber sie tat genau das, worum ihre Mutter sie bitten wollte, es aber nicht konnte: Oneida nahm Arthur Rooks anderen Arm, und gemeinsam schleppten sie ihn nach oben.
    Sobald sie ihn aufs Bett gelegt hatten, schickte Mona Oneida nach unten, um einen Teller Hühnersuppe aufzuwärmen, und Oneida, die nicht mehr wusste, ob das alles noch mit rechten Dingen zuging, wurde zur verdatterten Komplizin. Als sie mit der dampfenden Suppe auf einem Tablett zurückkehrte, beugte ihre Mutter sich gerade über Mr. Rook und tupfte seine Brust mit einem Wattebausch ab. Sie drückte eine Flasche Jodtinktur gegen den Bausch, den sie in der Hand hielt, und Oneida, froh, das Tablett bereits auf der Kommode abgestellt zu haben, sah, woher die Blutlache rührte: Mr. Rooks Brust war von zahllosen zackigen Schnittwunden, groben Stichen und roten Wülsten übersät. Man hatte ihn rasiert, und beim Anblick der schwarzen Stoppeln auf dem rohen Rosa seiner Haut drehte sich Oneida der Magen um, und sie wurde blass. Mit seinem auf dem Kissen nach hinten gebogenen Kopf, den geschlossenen Augen und dem leicht geöffneten Mund war er rundum bemitleidenswert; viel schlimmer aber war, dass Mona ihn mit der andächtigen, zärtlichen Aufmerksamkeit betrachtete, die bisher nur Oneida zuteilgeworden war, wenn sie von Windpocken oder Grippe heimgesucht wurde. Und diesmal rannte sie tatsächlich auf ihr Zimmer, ohne ein Wort zu ihrer Mutter zu sagen, ohne Abendessen und ohne die Absicht, jemals wieder herauszukommen.
    Etwa fünfzehn Minuten später klopfte es an der Tür und Mona trat ein, ohne auf Oneidas Antwort zu warten. Oneida lag zusammengerollt auf dem Bett unter der Decke und war nur von den Augen aufwärts zu sehen. Sie verfolgte, wie ihre Mutter sich neben sie aufs Bett setzte, und spürte Monas Hand durch ihr widerspenstiges Haar streichen.
    »Es tut mir so leid, Oneida«, sagte sie. Oneida blinzelte. »Er stürzte auf der Treppe, während er … einen Bilderrahmen festhielt. Du weißt schon, das Foto im Treppenaufgang. Es – es ging alles so schnell, ich bin im Krankenwagen mitgefahren und habe überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie lange es dauern würde, wie lange wir im Krankenhaus bleiben mussten.«
    Oneida litt unsäglich, denn sie hätte ihr Leid weder in Worte fassen noch darüber reden können. Sie ließ Mona weiterreden.
    »Sie beobachteten ihn eine Weile, um sicherzustellen, dass sein Gehirn nicht … also vermutlich ist seine Gehirnerschütterung weniger schlimm als die Schnitte, Gott sei Dank.« Mona zog ihre Hand aus den Haaren ihrer Tochter und strich sich die eigenen aus der Stirn. Sie schnaufte und drückte sich die Finger an die Schläfen. »Ich fühle mich schrecklich. Arthur Rook geht es gar nicht gut.«
    »Warum ist er dann noch immer hier?«, platzte es gedankenlos aus Oneida heraus.
    Mona tat, als hätte sie Oneidas Frage gar nicht gehört. »Ich weiß, ich hätte dir eine Nachricht hinterlassen sollen … oder Anna oder Sherman Bescheid geben sollen oder … wo sind die überhaupt? Hast du sie gesehen?« Nein, überlegte Oneida, keiner war hier. Sie drehte sich weg von ihrer Mutter. Mona schien die absichtliche Missachtung nicht zu bemerken, sondern sprach einfach weiter, wie schnell alles gegangen sei, wie sie, ohne nachzudenken, reagiert habe, dass so etwas nie wieder passieren könne, und dass seine Katze durchs Haus wandere und sie darauf achten solle, die Eingangstür zu schließen.
    Einen kurzen Moment lang flammte Zorn in

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