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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
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Oneidas Brust auf. Es war das erste Mal, dass sie so etwas wie Wut auf ihre Mutter empfand, aber jetzt war er da: ein Zornesfunke, rein und scharf, den sie weder kontrollieren konnte, noch wusste, ob sie das überhaupt wollte. Wie konnte ihre Mutter sie den ganzen Nachmittag derart im Unklaren lassen? Wie konnte sie sich mehr um einen fremden Mann, als um ihre Tochter kümmern? Wie konnte sie Oneida durch diese Hölle der Ungewissheit schicken, ohne etwas zu tun, das es wiedergutmachen könnte? Am Freitagabend lernte Oneida, dass wahre Wut absolut kalt und vollkommen still ist. Ihre Mutter strich ihr mit zitternder Hand über die Wange und gab ihr einen Gutenachtkuss, doch Oneida blieb regungslos liegen, leer und stumm. Sie hasste ihre Mutter. Sie hasste ihre Mutter dafür, dass sie sie so liebte: blind, dumm, ohne Fragen zu stellen und ein Verständnis voraussetzte, das eindeutig nicht vorhanden war. Sie war von ihrer besten Freundin verlassen und verraten worden.
    Es war erst sieben Uhr, aber sie zwang sich zu schlafen und wurde erst kurz nach Mitternacht wieder wach. Ihr Mund fühlte sich pelzig an, deshalb stieg sie aus dem Bett und watschelte ins Badezimmer, das ihr Zimmer mit dem von Mona verband. Als sie den letzten Rest Zahnpasta ins Waschbecken spuckte und das Wasser zudrehte, hörte sie aus dem Zimmer ihrer Mutter eindeutig ein Schluchzen, ein kurzes, unterdrücktes Aufheulen, das in ihrem Herzen jedoch keinerlei Regung auslöste, kein Aufblitzen von Mitgefühl oder Erbarmen. Gut, sagte sich Oneida und löschte das Licht. Wein dich nur in den Schlaf. Dann weißt du, wie sich das anfühlt.
    Seit Freitagabend hatte Oneida mit ihrer Mutter nur dreimal gesprochen und ihr zweimal in die Augen gesehen. Und allem Anschein nach war das Mona nicht einmal aufgefallen. Sie tat so, als wäre es absolut normal, dass sie morgens und abends jeweils eine Stunde lang Mr. Rooks Verbände wechselte, ihn fütterte und ihm Gesellschaft leistete. Und diese schreckliche Katze – Ray sowieso – durfte sich frei im ganzen Haus bewegen: Oneida fand sie schlafend auf ihrem Bett, ertappte sie dabei, wie sie sich in ihrer Schmutzwäsche wälzte oder sich an ihren Beinen rieb, wenn sie sich ganz allein glaubte. Ihr Zuhause war kein Zuhause mehr, und Oneida konnte es kaum erwarten, aus dem Wagen zu steigen und von ihrer Mutter wegzukommen. Und das wollte etwas heißen, wenn man bedachte, dass Monas alter Kombi die Einfahrt von diesem Freak Wendy entlangzockelte.
    »Dann komme ich dich also um fünf Uhr abholen?« Das sagte Mona in einem Ton, als würde sie Oneida am Einkaufszentrum absetzen und nicht vor der Höhle eines radikalen psychopathischen Teenagers. Oneida nickte, öffnete ihre Tür und warf sie so schnell zu, dass Monas Wunsch, sie möge eine schöne Zeit haben, abgehackt wurde.
    Sie ging über den rissigen Plattenweg und drehte sich nicht einmal um, um Mona wegfahren zu sehen. Das Haus der Wendells war schwer zu finden gewesen, da die Einfahrt von nichts weiter als einem eingedellten grauen Briefkasten markiert wurde, den die nächste Windbö von seinem Pfosten wehen würde. Die Zufahrt selbst schien kein Ende zu nehmen, schlängelte sich und hatte tiefe Spurrillen. An ihrem Ende schließlich war das einzige Anzeichen nahegelegener Behausung eine hellgrüne Tür, die seitlich in einen Hügel eingelassen war, einen Hügel, der sich nach und nach als die Fassade eines Hauses offenbarte, so wettergegerbt und grau, dass sie aussah, als wäre sie schon immer da gewesen. Wenigstens war die Tür frisch gestrichen, aber Oneida entdeckte weder Klingel noch Türklopfer. Sie zog ihre Jacke fester um sich, klopfte an dem grünen Holz und betete, dass Andrew Lu bereits drinnen war.
    Die Tür öffnete sich, ehe sie ihre Hand sinken lassen konnte. Sie zuckte zusammen und stieß einen kleinen Schrei aus, denn vor ihr stand Wendy: im Türrahmen, schweigend und regungslos. Er trug ein schwarzes T-Shirt, bemalt mit einem Anarchiesymbol, offenbar unter Verwendung von rotem Nagellack.
    »Hi, Löffelchen«, sagte er und riss die Tür weiter auf. »Nur herein.«
    Von irgendwo im Haus hörte Oneida Rockmusik, dann das sehr laute Schlagen eines Beckens und Gesang. Wendy rieb sich seine Narbe und sagte: »Jetzt komm schon rein.«
    Oneida tat wie ihr geheißen. Das Haus der Wendells bestand aus einem dunklen vollgestopften Flur, der sich in sämtliche Richtungen im Dunkeln verlor und dessen Wände mit Holzdekorpaneelen verkleidet waren. Die Musik

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