Bilder von dir: Roman (German Edition)
braunen Landkarten markierte. Als Wendys Mutter ihre Stöcke mit einer Endgültigkeit zum Stillstand brachte, die Oneidas Hände wie von selbst klatschen ließ, hatte sie das Gefühl, eine weite Reise zurückgelegt zu haben, viele Kilometer von Ruby Falls entfernt.
Nach zweimaligem Klatschen kam Oneida wieder zu sich, denn Wendy sagte kichernd zu ihr: »Trottel«, und ging dann die Treppe hinunter.
»Eugenius.« Der kahle Gitarrist winkte Wendy zu und griff nach einer Bierdose, die wackelig auf der Lehne eines Sessels stand. Er trank einen Schluck und bemerkte dann Oneida. »Mit einer Freundin.«
Oneida war viel zu aufgewühlt, um die erforderliche Entrüstung aufzubringen und es abzustreiten. Im Gefolge von Wendy schwebte sie die Treppe hinunter und vorbei an der Band, als sähe sie von den Kulissen einem besonders bizarren Schauspiel zu.
Die blonde Bassistin zwinkerte Wendy zu, als er vorbeikam, und wandte sich direkt an Oneida. »Er wird es mit dir das erste Mal machen wollen«, sagte sie, »aber lass dich um Gottes willen nicht auch noch aufs zweite Mal ein.« Wendys Drummer-Mutter sagte der Blonden, sie solle damit aufhören, auf ihrem Baby herumzuhacken, und Oneida, die keine Ahnung hatte, welcher Wahnsinn sie noch erwartete, kam zu dem Schluss, eine Halluzination zu haben. Womöglich lag ihr ohnmächtiger Körper draußen auf der Einfahrt, das Gesicht in den Kies gedrückt, ihr Gehirn unendlich weit weg.
»Komm weiter«, sagte Wendy und schob sie durch eine Schwingtür. Hinter dieser Tür befand sich ein Raum, der sich besser einschätzen ließ: eine Küche, die vollkommen normal aussah und deshalb im Vergleich zu dem Raum, den sie eben verlassen hatten, doppelt schräg wirkte.
»Bier?«, fragte Wendy und schlug im Kühlschrank Flaschen aneinander. »Nein, warte. Du bist keine Biertrinkerin. Lass mich raten.« Wendy lotste sie sanft auf einen Barhocker und beobachtete sie, eine Hand an seinem Kinn. »Kahlua und Wodka. Das passt zu dir.«
In Oneidas Gehirn ging eine Alarmglocke an. »Stopp«, sagte sie. Das hörte sich richtig an, also sagte sie es noch einmal: » Stopp .«
Wendy holte zwei Dosen Limo aus dem Kühlschrank. »Schon wieder«, sagte er. »Du bist wirklich lächerlich leichtgläubig. Und daran solltest du arbeiten.«
Sie sprang vom Barhocker und suchte angespannt nach einem Fluchtweg. Das war alles viel zu merkwürdig, zu unerwartet, und Oneida war es leid, sich in einer Welt zurechtzufinden, die sie nicht verstand. Sie hatte mit einem Waffenregal, einem rostigen Auto in der Einfahrt, einer Mutter oder einem Vater gerechnet, die nicht viel sagten und kaum zu Hause waren, mit altem orangem Teppichboden und dem penetranten Geruch von Zigaretten und nassem Hund.
»Das macht dich wahnsinnig, nicht wahr?«, Wendy schnippte seine Limodose auf.
»Überhaupt nicht«, erwiderte Oneida mit schriller Stimme.
Er reichte ihr eine Limodose, die sie auch ganz automatisch entgegennahm. Danach hielt sie sie ein paar Sekunden lang reglos fest. Das Öffnen übernahm Wendy für sie.
Das nur von den Trommelschlägen aus dem Nebenraum durchbrochene Schweigen lastete schwer. Oneida setzte sich wieder auf ihren Hocker und stellte ihre Füße auf dem obersten Querstab ab. Zu ihrer Überraschung – obwohl sie sich im Nachhinein sagte, es hätte sie nicht überraschen dürfen – befiel sie plötzlich unbändige Neugier. Eugene Wendell war ein Psycho, ein Genie oder ein Hybrid aus beidem. Jetzt dichtzumachen und die Flucht anzutreten, ließe sich mit ihrem ständigen Streben nach Information, das ihr Leben bestimmte, keinesfalls vereinbaren. Die Erfahrung, dass Wendy nicht der war, der zu sein er vorgab, war wie kopfüber in einen Topf mit Gold zu fallen: Wenn sie sich ihren Schädel dabei nicht aufschlug, wäre es das größte Geheimnis, das zu entdecken sie je Gelegenheit haben würde.
»Dann seid ihr wohl die Partridge-Familie?«, sagte sie. Und geschockt von ihrem eigenen Wagemut sah sie Wendy durchdringend an und trank einen Schluck Limonade.
Wendy wirkte erleichtert. Sie war froh, dass sie sich fürs Mitspielen entschieden hatte. »Nicht ganz«, sagte er. »Das ist nicht mein Dad, das ist Terry. Er arbeitet für meinen Dad. Aber es ist meine Mom, und es ist auch meine Schwester Gwen.«
»Dann heißt deine Schwester also Gwen Wendell?«
Wendys Gesicht zog sich zu einem breiten Grinsen mit zu vielen Zähnen auseinander. Oneida, die zwar ein wenig schneller geworden war, hatte es, langsamer als ihr
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