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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
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lieb war, kapiert.
    »Sie heißt Patricia«, sagte Wendy. »Und ich werde persönlich auch noch den letzten Tropfen Leichtgläubigkeit aus deinem Körper herausholen, wenn du mich lässt.«
    Die neckische Vertraulichkeit seiner Worte, die halb Drohung, halb Versprechen waren, führte Oneida zu einer schockierenden Schlussfolgerung – er flirtete mit ihr. Wendy Wendell flirtete mit ihr, und Oneida war sich nicht sicher, ob es ihr etwas ausmachte. Sie nahm noch einen Schluck, damit man ihr die Ratlosigkeit, wie sie mit dieser Information, außer mit blankem Entsetzen, umgehen sollte, nicht anmerkte.
    »Und wo ist dann dein Dad?«, fragte sie, verzweifelt einen Ausweg suchend, der das Gespräch wieder in gewohnte Bahnen lenkte.
    »Geschäftsreise«, sagte Wendy.
    »Was macht er?«
    »Auftragskiller.«
    Diesmal war Oneida darauf vorbereitet. »Ist ja auch egal«, sagte sie und konnte nicht umhin, Wendys Lächeln zu erwidern.
    »Er ist professioneller Kunstfälscher.«
    Oneida stellte ihre Limodose mit hartem Klacken auf die Küchentheke. »Ich weiß nicht, warum ich überhaupt gefragt habe.«
    »Na schön, er ist Sicherheitswachmann und besucht eine Konferenz für Sicherheitswachmänner. Möchtest du seinen Terminplan sehen? Drei Tage pausenlos Action und Abenteuer. Ständiges Zücken der Dienstmarke, finstere Blicke und Monitorüberwachung.« Wendy hatte die Angewohnheit, seitlich aus dem Mund zu sprechen und sie dabei nicht direkt anzusehen, vor allem dann nicht, wenn er glaubte, etwas Lustiges zu sagen. Oneida wusste nicht recht, ob sie das ärgerlich oder süß finden sollte – einen Moment lang jedenfalls faszinierte sie die Entdeckung, dass sie außer Angst und/oder Abscheu keinerlei Meinung über Wendy hatte. Das konnte unmöglich derselbe Wendy sein, der Theaterblut in Shermans Werkunterricht mitgebracht, der sich auf der Jungentoilette im Naturwissenschaftsflügel herumgetrieben und Zigaretten an Siebtklässler verkauft hatte, der dem Schüler, der für den Computerraum verantwortlich war, erklärte, er solle sich und das hohe Ross, auf dem er saß, ficken. Dieser Wendy sah nicht einmal aus, als wäre er ein und dieselbe Person. Er wirkte dünner und größer, weniger gebeugt und massig. Sauberer und irgendwie auch heller; Oneida war nie aufgefallen, dass sein Haar braun mit ein wenig Schwarz darin war, seine Ohren groß waren und irgendwie lustig aussahen und, wenn er vor einer hellen Lichtquelle stand – wie jetzt, als er am Küchenfenster vorbeiging –, rosa leuchteten wie Strandmuscheln, weil das Licht durch sie hindurchschien.
    Sie rutschte von ihrem Hocker, um in der Küche herumzulaufen und diesen neuen Wendy in seiner natürlichen Umgebung einzuordnen: den hellen Vorhängen über der Spüle, auf denen Zitronen und Limetten tanzten, dem kleinen Regal mit dem Frühstücksgeschirr auf der Theke, die in dunklem Zitronengrün gestrichene und in Höhe der Stuhllehnen leicht abgewetzte Wand hinter dem Küchentisch, dem noch im Raum hängenden Duft von Kaffee, ein wenig verbrannt. Diese Entdeckung von Wendys Schattenseite in Technicolor verlieh Oneida das Gefühl der Macht, ein durch das Privileg der Information ausgelöster Rauschzustand. Es war die Macht, die sie am liebsten immer ausgeübt hätte.
    »Warum?«, fragte sie ihn. »Warum lässt du jeden auf der Schule in dem Glauben, du wärst ein verrückter knallharter Typ, der die tätliche Auseinandersetzung mit Huren sucht? Ein Messer mit in die Schule nimmt?«
    »Ich habe mich schon gefragt, wie lange es wohl dauert, bis du mich das fragst.« Wendy trank seine Limo aus und warf die leere Dose in die Spüle. »Das habe ich von meinem Dad gelernt: Leben ist Kunst.« Er hielt den Kopf schräg, als würde er nach den richtigen Worten suchen, aber Oneida war sich sicher, dass er genau wusste, was die richtigen Worte waren, und nur ihr zuliebe posierte. »Es bedeutet«, ergänzte er, »dass dein ganzes Leben eine Schöpfung ist. Ganz wörtlich, was du daraus machst. Und dass du dein Leben dazu benutzen kannst, in den Köpfen der Leute totale Verwirrung zu stiften.«
    »Und das ist dann Kunst?«, fragte Oneida.
    »O ja. Kunst ist alles, was dein Denken verändert.«
    »Aber«, wandte Oneida ein. »Ich denke nicht anders über dich. Ich meine, jetzt schon, aber … in der Schule werden alle, die dich für verrückt halten – dich einfach für verrückt halten.«
    »Aber ich bin es nicht, und das ist der Kunstaspekt daran. Der ist subversiv, surreal. Die

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