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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
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kennengelernt hatte und, wie Eugene vermutete, das weitläufige Netz langbeiniger Brünetter und berechnender Russinnen seinen Ursprung nahm). Zu viert fuhren sie mit dem Zug in die Innenstadt und aßen Souflaki im Village. Am Rockefeller Center sprangen sie ausgelassen um den Platz, und ein großer Mann, der eine Dänische Dogge im Central Park spazieren führte, erlaubte ihnen, eine Weile mit dem Hund zu spielen.
    Sie besuchten das Metropolitan Museum of Art, aber erst nach dem Abendessen – als seine Eltern in Streit gerieten, der, soweit Eugene sich erinnerte, seinen Auslöser in einer Packung gebratenem Reis hatte, die sein Vater umgeworfen hatte – wunderte Eugene sich darüber, dass man sie so rasch aus dem Flügel der Moderne gescheucht hatte und wie merkwürdig das gewesen war. Er und Patricia hatten vor einem riesigen Gemälde gestanden, auf dem drei Menschen auf einem grasbewachsenen Berg zu sehen waren, und versuchten herauszufinden, ob das Mädchen in der roten Jacke, das neben ihnen lag, tot war oder nur ein Nickerchen machte, als Astor ihnen sanft seine Handflächen in den Rücken drückte und sie auf den Ausgang zusteuerte. »Eure Mom glaubt, gleich kotzen zu müssen«, sagte er, aber als sie über die vielen Stufen hinunter zur Straße gingen, machte ihre Mutter keineswegs den Eindruck, als sei ihr übel. Sie aß eine Kugel Eiscreme und verteilte allen Orangeneis am Stiel, bevor sie in das erste Taxi stiegen, das vorbeikam.
    Für Leute, die sich so gut wie nie stritten, konnten sie das sehr gut: Das Atelier, ein riesiger Raum mit hohen Decken und freigelegten Ziegelwänden, hallte davon wider. Eugene hatte die
Feuertür aus Metall zugezogen, die den Raum der Kinder vom Rest des Lofts abtrennte, wo sie den Streit unangenehm gedämpft und blechern hörten, als fände er in der lautlosen Tiefe des Alls statt. Patricia legte ihr Kinn auf die Knie, den Finger hatte sie zwischen den Seiten ihres Taschenbuchs Blumen der Nacht . Das Fenster stand offen, und über Brooklyn hatte sich die Nacht herabgesenkt. Die Luft war feucht und heiß und merkwürdig still, wann immer die Stimmen ihrer Eltern so leise wurden, dass man sie nicht mehr hörte. Überall roch es noch von der Renovierung nach frischer Farbe und Sägemehl, und Eugenes Nase juckte. Beide saßen schweigend auf ihren aufblasbaren Gummimatratzen, bis Patricia sagte: »Du weißt schon, dass wir in der Scheiße sitzen, oder?«
    Eugene, den der Streit bereits nervös gemacht hatte, sprang auf, als er ihre Stimme hörte. »Nein, das tun wir nicht«, sagte er.
    »O doch, das tun wir«, entgegnete Patricia. »Was glaubst du, warum sie sich streiten? Mom sagte gerade, dass sie sich ständig umsehe und darauf warte, dass der Hammer zuschlage  – hört sich das für dich etwa nicht beschissen an?«
    Eugene zuckte mit den Schultern. Patricia ging auf die Knie, und die Luftmatratze bewegte sich über den Betonboden.
    »Ich wette, dass ihm die Bullen auf der Spur sind«, sagte sie. »Javert hat bestimmt Wind davon bekommen.«
    Wieder zuckte er die Achseln. Sie hatten tags zuvor Karten für Les Miserables ergattert, aber er war kurz nach der Pause eingeschlafen.
    »Überleg doch mal, Eugene. Was er macht, ist illegal . Was wird passieren, wenn er erwischt wird? Stecken sie ihn ins Gefängnis? Vielleicht flüchtet er, bricht aus, aber was wird dann aus Mom? Sie liebt ihn wahnsinnig. Ich wette, sie rennt mit ihm weg. Und was wird dann aus uns?«
    Eugene konnte nicht klar denken und war ganz weit weg, benommen von den Farbdämpfen. »Dann wohnen wir halt bei Terry«, sagte er.
    »Du glaubst doch nicht, dass sie, wenn sie über Astor Bescheid wissen, nicht auch über Terry Bescheid wissen? Also wird auch Terry fliehen müssen. Kommen wir dann in ein Pflegeheim? Werden wir getrennt? Mein Gott, Eugene, unsere ganze Familie gibt es dann nicht mehr. Weißt du, ich erinnere mich, als ich in deinem Alter war, hielt ich ihn für einen Gott. Er war für mich so was wie Robin Hood oder Billy the Kid, ein Superheld eben.« Der Streit steigerte sich, und sie wandten sich beide instinktiv der Tür zu. »Das ist nicht normal«, sagte Patricia, »was er da macht und was wir sind. Wir sind … so was von … im … Arsch. «
    Und dann weinte Patricia – schluchzte sogar –, und Eugene hatte richtig Angst. Patricia war die ganzen letzten sechs Monate so draufgewesen, hatte beim kleinsten Anlass geweint und sich hineingesteigert, und Eugene hatte sich ganz bewusst bemüht,

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