Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
Vom Netzwerk:
sich.
    Er schwitzte und keuchte, als Astor seine Tür öffnete.
    »Guter Song«, sagte er. »Stell ihn ab. Ich möchte dir was zeigen.«
    Astor führte Eugene hinunter in sein Büro, wo bereits ein alter Filmprojektor aufgebaut war, und fragte ihn, ob er wisse, worum es in diesem Song gehe. Eugene, der noch immer außer Atem war, konnte nur den Kopf schütteln und einmal zitternd und schmerzhaft Luft holen. »Was Black Francis da schreit, hat mit diesem Film zu tun, mein Sohn«, sagte Astor, warf den Projektor an und setzte sich neben Eugene auf die schäbige Couch. Auf seinem Gesicht lag ein lustiger Ausdruck, irgendetwas zwischen Stolz und Angst, und Eugene spürte intuitiv: Dies war der Moment, der sein Leben ändern würde, das verfestigen würde, was in Brooklyn begonnen und mehr Narben hinterlassen hatte, als nur auf seiner Augenbraue.
    Und er hatte recht. Es war ein Schwarz-Weiß-Film ohne Ton, der insgesamt nur fünfzehn Minuten dauerte, aber das Erstaunlichste, was er je gesehen hatte. Mit scharfen Rasierklingen wurden Augäpfel durchtrennt. Es gab Brüste und Pobacken und tote Esel auf Klavieren und Achselhaare und Ameisen, die aus Löchern in Menschenhänden krochen, und er ließ sich das alles von Astor dreimal vorführen, doch nach keiner der Vorführungen war er schlauer als zuvor. Doch je weniger er verstand, umso mehr gefiel es ihm.
    »Wer …?«, sagte er und deutete auf die Projektion auf der weißen Wand von Astors Atelier, und Astor sagte: »Ein paar ernsthafte surrealistische Spinner namens Luis Buñuel und Salvador Dalí. Provokation. Juxtaposition. Traumlogik. Folge deinen Impulsen, egal, wie bizarr sie sind – darum ging es den Surrealisten.«
    »Hört sich cool an«, sagte Eugene.
    »Das waren sie bestimmt auch. Vielleicht waren sie auch Arschlöcher, aber manchmal braucht die Welt kreative Arschlöcher.« Er streckte seinen Arm aus und nahm Eugenes Hand in seine und schüttelte sie so fest, dass es fast eine Tortur war. »Edle kreative Arschlöcher.«
    Eugene lachte. Seine Haut prickelte. Seit Jahren hatte er sich Astor nicht mehr so nah gefühlt. Gewiss nicht mehr seit Brooklyn.
    Astor schloss die Augen und lehnte seinen Kopf zurück an die Couchlehne. Er wirkte noch immer jugendlich, hatte volles dunkelbraunes Haar, trug es jedoch kurz und ordentlich. Beide Wendell-Kinder kamen nach ihrem Vater mit ihrem langen schmalen Körperbau und den von der Nase geprägten Gesichtern. Als Eugene seinen ihn anstrahlenden Vater ansah, wusste er, dass er den Menschen ansah, den er auf dieser Welt am meisten liebte, und dass in diesem einen Moment seine Ehrfurcht vor seinem Vater so groß war, dass Patricia den Kampf für immer verlor. Astor Wendell war ein Superheld, der etwas Dummes tat, aber sein Sohn Eugene glaubte von ganzem Herzen an ihn, glaubte daran, dass diese Welt dieses ganz besondere kreative Arschloch brauchte. Seine Fälschungen waren derart umwerfend und unglaublich – nicht nur Handwerk, sondern Kunstwerke –, und sollte Patricias Sorge um ihren eigenen Komfort und ihr eigenes Wohlergehen nicht zulassen, dass sie dies anerkannte, wäre Eugene mit ihr fertig.
    Eugene Wendell wollte genauso sein wie sein Vater. Aber da er weder über das Talent noch die Ressourcen verfügte, wirkliche Kunst zu fälschen, entschied er sich dafür, das zu fälschen, was ihm möglich war: sich selbst. Das wäre relativ leicht, denn in der Schule war er ohnehin ein unbeschriebenes Blatt. Eugene erledigte seine Aufgaben, nahm am Unterricht teil, wenn es von ihm gefordert wurde, ging nach Hause. Er schwamm mit dem Schwarm und war deshalb unsichtbar. Aber all das sollte sich mit dem Wendy-Projekt ändern, seiner ersten surrealistischen Arbeit.
    Das Wendy-Projekt kam allerdings erst voll in Gang, als Eugene in seinem ersten Highschooljahr war, obwohl ihn die Planung bereits ein ganzes Jahr vorher beschäftigte und er sich in dieser Zeit beibrachte, auf eine ganz bestimmte Weise zu gehen, zu sprechen und zu stieren. Wendy Wendell war ein komplett verkorkster Typ, ein gewalttätiger, unsozialer Scheißkerl wie aus einem Comic, der sich mit Huren und Drogendealern einließ und balgte – ein Aspekt, der, wie Eugene fand, ihm angesichts seines unmittelbaren Umfelds genau die richtige absurde Note verlieh (es sei denn, irgendein kranker Mistkerl hatte, ohne dass es jemand mitbekam, Kühen beigebracht, anschaffen zu gehen).
    Wendy machte sich an der Ruby Falls High einen Namen durch eine Reihe sorgfältig

Weitere Kostenlose Bücher