Bilder von dir: Roman (German Edition)
instrumentierter Gerüchte. Eugene ließ im Auditorium Zettel auf den Boden fallen, gefälschte geschwätzige Schreiben zwischen Leuten »die dort waren«, Leuten, »die ihn gesehen hatten«, wie er Footballspielern bei Auswärtsspielen Nackenschläge verpasste; beschmierte sämtliche Toiletten mit abgründigen und gehässigen Graffiti. Um seiner Rolle gerecht zu werden, schlurfte und schlich er durch die Gänge und machte sich ein Spiel daraus, wie lange er, ohne zu blinzeln, vor sich hin starren konnte. Er beging mehrere kleine Verstöße gegen die Schulordnung. Nichts davon war so gravierend, dass man ihn hätte suspendieren oder ihm einen dauerhaften Eintrag in seiner Schulakte hätte geben müssen, es gab nur ein gelegentliches Nachsitzen oder ein ernstes Gespräch. Viel wichtiger war, dass die Leute sich zu fragen begannen, wozu er fähig wäre.
Dann brauchte Eugene sich nur noch zurückzulehnen und zuzusehen, wie die treuen Schafe der RFH ihre Rolle im Wendy-Projekt spielten: aus dünner Luft und Worten einen nicht existenten Schulhofschläger machten, den sie sich, begierig nach Skandal und Gewalt, aus den eigenen Fingern sogen. Gelegentlich kam ein Gerücht auf Umwegen wieder bei ihm an, das auf so wahnsinnig komische Weise verzerrt war und in nichts mehr dem entsprach, was er auf den Weg gebracht hatte, dass Eugene einen Moment lang gezwungen war, den dunkleren und viel perverseren Fantasien seiner Mitschüler widerwillig Respekt zu zollen. Vermutlich durfte er sie doch nicht ganz mit seiner Verachtung strafen, denn immerhin waren sie eine Schlüsselkomponente seines Werks. Sie hatten ihn ganz oben in einen Turm gehoben und ließen ihn dort dankenswerterweise allein, geschützt hinter Dornengestrüpp und blau geschlagenen Augen und zerbrochenen Flaschen – und dem größten Kunstwerk, das jemals von einem Surrealisten verübt wurde, der gerade erst begonnen hatte, sich zu rasieren.
Die ersten sechs Monate des Wendy-Projekts waren in Eugenes Leben eine ungemein tolle Zeit. Jeden Tag kam er mit einem breiten Grinsen im Gesicht von der Schule nach Hause, in Hochstimmung, weil er es durchgezogen hatte. Eugene Wendell, der stille dürre Junge, von dem man jahrelang nicht viel mitbekommen hatte, wurde plötzlich verehrt und gefürchtet. Im Frühjahr seines zweiten Highschooljahrs ließ der Reiz etwas nach, aber er machte dennoch entschlossen weiter. Er machte Langeweile dafür verantwortlich, denn schließlich haben selbst die größten Teenagergenies Angst davor, ihr nächstes Werk in Angriff zu nehmen. Also begann er zu masturbieren, um seine Langeweile etwas zu lindern, und dies entwickelte sich dann selbst zu einem großen Werk. Kurz nachdem sein gewohnheitsmäßiges Masturbieren in den Turbogang schaltete, wurde er völlig grundlos wütend, hasste Dinge, wie er bisher noch nie etwas gehasst hatte. Und somit sah Eugene sich mit der unerfreulichen Wahrheit konfrontiert, dass seine Projekte womöglich würden warten müssen, wenigstens so lange, bis er mit jemandem Sex gehabt hatte – es sei denn, er machte dieses Vorhaben selbst zu einem großen Kunstwerk.
Eugene knipste das Licht neben der Tür an, und in Astors Atelier wurde es schlagartig so hell, dass seine Augen tränten. Als er wieder klar sehen konnte, sah er, dass sein Vater an einem kleinen Landschaftsbild gearbeitet hatte. Die fast komplette Fälschung stand ruhig auf ihrer Staffelei, direkt neben dem Original. Für ein Mädchen, das so verschroben war wie Oneida, schien es ihm ein wenig zu zahm zu sein, außerdem musste er etwas stibitzen, dessen Fehlen Astor nicht bemerkte. Es bereitete ihm Gewissensbisse, dass er das Atelier plünderte, ohne vorher gefragt zu haben, aber Astor musste wegen einer Ausstellungseröffnung lange arbeiten und käme erst um Mitternacht nach Hause. Oneida – und Eugenes Libido – konnten jedoch unmöglich warten.
Auf Astors Schreibtisch stand ein kleiner ramponierter Koffer, alt und braun, und Eugene öffnete die Schnallen. Drinnen lag äußerst ordentlich arrangiert jede Menge Krimskrams, alte vergilbte Papiere und Plastikmüll, Sachen, wie man sie auf Flohmärkten, in Trödelläden und Krimskramsschubladen fand, die seit seiner Geburt nicht mehr sauber gemacht worden waren. Keine Ahnung, was sein Vater damit vorhatte. Viel wichtiger war jedoch, dass in dem Koffer so viel altes Zeug lag, dass Astor unmöglich etwas davon vermissen würde.
Eugene zog einen langen, schmalen Streifen dunkelblauen Samt heraus,
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