Bilder von dir: Roman (German Edition)
aufmarschierten.
Mona stach mit dem Finger auf das Foto ein. Es war an die Wand geklebt.
»Sie haben Chruschtschow an meine Wand geklebt, Arthur«, sagte sie, unsicher, ob sie belustigt oder verärgert sein sollte.
»Ich habe … ehrlich gesagt … gar nicht nachgedacht, bevor ich es da hinklebte. Tut mir leid.« Er saß auf dem Sofa und wühlte in einem riesigen pinkfarbenen Schuhkarton, den Mona nach näherer Inspektion als den ihrer lächerlichen schwarzen Stilettostiefel erkannte, die in ihrem Schrank vor sich hin gammelten. Damals hatte sie die Stiefel einfach so in ihren Koffer gepackt, aber Amy hatte den Karton offenbar für sich selbst aufgehoben – zehn Jahre lang. Dieser Tatbestand rührte Mona seltsamerweise.
Es gab jede Menge Geschichten, die sie Arthur vorenthielt. Etwa die von Amys gebrochenem Herzen wegen Ben – sie würde sich wegen dieser blöden New-York-Postkarte etwas einfallen lassen müssen, falls Arthur sich erinnerte, sie noch mal danach zu fragen. Und dass sie nach Ocean City abgehauen war – noch hatte sie sich nicht entschieden, ob sie ihm von diesem Sommer erzählen würde. Sie war sich unschlüssig, ob es gut war für ihn oder für sonst jemanden, wenn er davon erfuhr. Mona gingen langsam die Geschichten und die zufälligen Fakten aus, die sie erzählen konnte (Immerhin lag die Blütezeit ihrer Freundschaft schon sechzehn Jahre zurück, und ihre Erinnerung war zwar ausgezeichnet, aber nicht perfekt.), aber Arthur verlangte immer noch nach mehr. Was fiel ihr noch von Amy ein? Wie war Amy noch gewesen – als kleines Kind, als Teenager? Es war seltsam. Wäre Arthur nicht so offenkundig lädiert gewesen und hätte so begierig nach dem Geist seiner Frau verlangt, hätte Mona sich schamlos ausgenutzt gefühlt. Für Mona war es nämlich alles andere als befriedigend, sich Arthurs Fragen zu stellen, und bei Weitem gefährlicher. Je mehr Arthur sie löcherte, umso näher kam sie dem Punkt, von wo ab sie ihm nichts mehr mitteilen wollte. Und dabei bestand immer die Gefahr, dass ihr ein winziger Hinweis entschlüpfte – und bei Arthurs ständigem Drängen nach mehr Information konnte schon das winzigste Detail zu einer Landmine führen.
»Sie – Sie haben meine Frage nicht beantwortet.« Arthur kam mit einer Rolle Klebeverband und einem Mullquadrat aus seinem Schlafzimmer. »Sagt Ihnen diese Postkarte was?«
Mona griff in ihre Gesäßtasche. Sie lag mit der Nachricht nach oben in ihrer Hand. Na schön, Schicksal , sagte sie sich, Okay, dann werde ich sie eben lesen .
Alles, was sie in Amys Hand besagte, war: Ich wünschte wirklich …
»Ich weiß nicht«, sagte Mona und schluckte. »Möchten Sie sich hinlegen?«
Arthur knöpfte sein Hemd auf und setzte sich auf die Couch. Harryhausen kam ins Zimmer gesprungen, drehte drei Kreise um den Couchtisch, sprang dann auf die Couch und auf die Lehne des daneben stehenden Stuhls, wo er erstarrte, seine vier Pfoten angespannt, den Schwanz steil aufgerichtet und dick wie eine Flaschenbürste.
»Ist er immer so?« Mona setzte sich neben Arthur. Sie drehte die Rolle Klebeverband um ihren Finger.
»Nein.« Arthur zog sein Hemd von der Schulter. »Normalerweise ist er griesgrämig. Oder deprimiert.« Er lehnte sich in die Polster zurück, und Mona hätte angesichts seines zerfetzten Körpers, der da im vollen Tageslicht vor ihr lag, heulen können. Arthur war übersät von winzigen, sich kreuzenden Schnitten, hatte aber zudem noch drei tiefe Wunden: eine, die vom linken Schlüsselbein zu seinem Brustbein führte, eine oberhalb seines Bauches und eine dritte im Zickzack dazwischen. Fast wie ein Blitz – der Harry Potter der Torso-Verstümmelung. Sie runzelte die Stirn und lachte dann über sich und war froh, es nicht laut ausgesprochen zu haben.
»Sie sehen wie ein Puzzle aus«, sagte sie. Sie beugte sich tiefer und hob den blutigen Mullverband von seinem Herzen ab. »Ich glaube, der Stich hat gehalten. Sie werden ihn wohl beim Duschen zu sehr gedehnt haben. Erzählen Sie mir, Arthur« – er hatte geduscht, sie roch Seife – »was machen Sie?«
»Was ich mache?« Seine Stimme war laut aus dieser Nähe. Sie hörte das Echo in seiner Brust. »Sie meinen, wenn ich nicht die alten Freundinnen meiner Ehefrau terrorisiere?«
Die alten Freundinnen deiner toten Ehefrau . Mona nickte. »Damit lässt sich wohl kaum Geld verdienen.«
»Ich bin Fotograf.«
Sie legte den Mullverband doppelt und drückte ihn auf das frische Blut. »Wir warten,
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