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Billard Um Halb Zehn: Roman

Billard Um Halb Zehn: Roman

Titel: Billard Um Halb Zehn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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gesessen und auf dich gewartet, da sammelten sich gerade die ersten Teilnehmer, und ich hörte was von Opposition; als erste kamen die Harmlosen, das Fußvolk der Demokratie, Gschaftlhuber von der Sorte, die man gar nicht so übel nennt; sie sprachen über Automarken und Wochenendhäuser und teilten einander mit, daß die französische Riviera anfange modern zu werden, gerade weil sie überlaufen sei, und daß es - allen entgegengesetzten Prognosen zum Trotz - jetzt anfange bei Intellektuellen Mode zu werden, mit Reisegesellschaften zu fahren. Nennt man das hierzulande reziproken Snobismus oder Dialektik? Du mußt mich über solche Dinge aufklären; ein englischer Snob würde dir sagen: ›Wenn Sie mir zehn Zigaretten geben, verkaufe ich Ihnen meine Großmutter‹ - die hier würden dir tatsächlich für nur fünf Zigaretten ihre Großmutter verkaufen; sie nehmen nämlich auch ihren Snobismus ernst; später sprachen sie über Schulen, die einen waren fürs Humanistische, die anderen waren dagegen; na schön. Ich lauschte, weil ich so gern etwas von wirklichen Sorgen erfahren hätte; immer wieder flüsterten sie einander ehrfürchtig den Namen des Stars zu, den sie an diesem Abend erwarteten. Kretz - hast du den Namen schon mal gehört?«
    »Kretz«, sagte Robert, »ist sozusagen ein Star der Opposition.« »Das Wort ›Opposition‹ hörte ich immer wieder, aber aus ihrem Gespräch wurde mir nicht klar, wem ihre Opposition gilt.«
    »Wenn sie auf Kretz warteten, müssen sie von der Linken gewesen sein.«
    »Ich habe wohl recht gehört: dieser Kretz ist eine Art Berühmtheit, das, was man eine Hoffnung nennt?«
    »Ja«, sagte Robert, »sie versprechen sich viel von ihm.«
    »Ich habe ihn gesehen«, sagte Schrella, »er kam als letzter; wenn der eine Hoffnung ist, möchte ich wissen, was eine Verzweiflung sein könnte...; ich glaube, wenn ich mal jemand umbringen würde, dann ihn. Seid ihr denn alle blind? Der ist natürlich klug und gebildet, zitiert dir den Herodot im Original, und das klingt in den Ohren dieses Fußvolks, das seinen Bildungsfimmel nie los wird, natürlich wie göttliche Musik; aber ich hoffe, Robert, du würdest deine Tochter oder deinen Sohn nicht eine Minute mit diesem Kretz allein lassen; der weiß vor Snobismus ja gar nicht mehr, welches Geschlecht er hat. Die spielen Untergang, Robert, aber sie spielen ihn nicht gut, da fehlt nur das Largo, und du hast ein Begräbnis dritter Klasse...«
    Das Klingeln des Telefons unterbrach Schrella, er folgte Robert, der in die Ecke ging und den Hörer abnahm.
    »Leonore?« sagte Robert, »ich freue mich, daß mein Vater Sie eingeladen hat, und entschuldigen Sie bitte, was ich heute morgen gesagt habe, Leonore, ja? Mein Vater erwartet Sie auf Zimmer 212. Ein Brief von Herrn Schrit? Alle Unterlagen für x 5 falsch errechnet? Ja, ich werde mich drum kümmern, Schrit anrufen. Jedenfalls danke, Leonore, und bis nachher.«
    Robert legte den Hörer auf und wandte sich wieder Schrella zu: »Ich glaube«, sagte er - aber ein fremdes, nicht sehr lautes, sprödes Geräusch unterbrach ihn.
    »Mein Gott«, sagte Schrella, »das war ein Schuß.«
    »Ja«, sagte Robert, »das war ein Schuß. Ich glaube, wir müssen jetzt nach oben gehen.«
    Hugo las: ›Verzichterklärung: Ich erkläre mich damit einverstanden, daß mein Sohn Hugo...‹; gewichtige Stempel darunter, Unterschriften, aber die Stimme, vor der er sich
    gefürchtet hatte, meldete sich nicht; welche Stimme war es
    gewesen, die ihm befohlen hatte, Mutters Blöße zu bedecken, wenn sie von ihren Streifzügen heimkehrte, auf dem Bett liegend die tödliche Litanei des Wozuwozuwozu murmelte? Mitleid hatte er gespürt, ihre Blöße bedeckt, ihr zu trinken gebracht, hatte sich, auf die Gefahr hin, von ihnen überfallen, geprügelt und Lamm Gottes gerufen zu werden, in den Laden geschlichen und zwei Zigaretten erbettelt; welche Stimme war es gewesen, die ihm befahl, mit So-was-sollte- nicht-geboren- werden Canasta zu spielen; die ihn warnte, das Zimmer der Schafspriesterin zu betreten; die ihm jetzt eingab, das Wort vor sich hinzumurmeln: Vater? Um die Furcht, die ihn befiel, zu verringern, warf er andere Worte hinterher: Bruder und Schwester, Großvater, Großmutter und Onkel, aber diese Worte verringerten die Furcht nicht; er warf mehr Worte hinterher: Dynamik und Dynamit, Billard und korrekt, Narben auf dem Rücken, Cognac und Zigaretten, rot über grün, weiß über grün, aber die Furcht wurde nicht geringer;

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